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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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schlimm.« Er starrte in die Ferne. »Ich bin auch mit meiner Weisheit am Ende gewesen. Mit meinem ganzen Leben. Schon seit Langem.« Er lächelte verkniffen vor sich hin, mit bebenden Lippen. »Enttäuscht zu sein, ist normal für mich. Aber warum kommt mir das jetzt alles auf einmal gar nicht mehr so schlecht vor? Wirklich alles. Mensch, ich wünschte, ich wäre wieder zu Hause. In meiner beschissenen kleinen Wohnung mit einer Tasse Tee in der Hand.«
    Dom lachte wieder vor sich hin und Luke fiel mit ein, bis Dom jäh innehielt und tief durchatmete. »Oh Mann, ich liebe meine Kinder. Und ich werde sie nicht mehr …« Und dann begann er, leise zu weinen und drängte sich noch mehr an Luke heran.
    Luke spürte einen Kloß im Hals. Er schüttelte den Kopf. Einen Augenblick lang konnte er einfach nicht glauben, dass er wirklich hier saß und dass es keinen Hutch und keinen Phil mehr gab. Er starrte stumm in die Gegend, während das Tageslicht versiegte und er allmählich immer weniger erkennen konnte. Die kalte Luft strich über seine Wangen und ließ seine Gelenke steif werden.
    Die wahre Bedeutung des Verlusts seiner Freunde wurde von einem inneren Mechanismus in seinem Kopf unterdrückt. Aber dennoch musste er immer wieder an die monströsen Vorgänge um ihr Verschwinden denken, die nicht in Worte zu fassen waren. Es war einfach unvorstellbar, und diese Tatsache ließ ihn verstummen.
    Dann richtete sich seine Erschütterung und seine Trauer auf
die drei kleinen blonden Mädchen auf dem Bildschirmschoner von Phils Handy, und er konnte seinen vagen Gefühlszustand nicht mehr aufrechterhalten.
    Wie würde ihnen die schreckliche Nachricht übermittelt werden? Wer konnte so etwas erklären? Wie wurde so etwas überhaupt gemacht? Hutch hatte eine Frau. Luke musste schlucken. Seine Lippen zitterten, und seine Augen brannten. Er versuchte, alles herunterzuschlucken, aber es ging nicht. Auch seine Beine und Hände zitterten.
    Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er nicht mehr nach England zurückkäme. Er dachte an seine Eltern, seine Schwester, seine Tante. Sie würden die Last der Trauer tragen und ihn in Erinnerung behalten. Beides würde im Laufe der Zeit verblassen. Aber eine ganze Weile würden sie leiden. Sie würden womöglich nach Schweden fliegen, um mit den Behörden zu sprechen. Würden abwarten, dass Suchtrupps zurückkamen, mit leeren Händen und enttäuschten Gesichtern. Er stellte sich das sorgengeplagte Gesicht seiner Mutter vor, und wie sein Vater den Arm um ihre schmalen gebeugten Schultern legte. Vielleicht würden sie ja in den Nachrichten erwähnt werden: Vier englische Männer auf einer Wanderung nördlich des Polarkreises verschwunden. Es würde vielleicht eine Zeitungsmeldung geben. Oh Mann. Dom hatte Familie, Kinder. Hutch hatte eine Frau. Eine Ehefrau, verdammt. Phil hatte Kinder.
    Die Gedanken daran waren kaum zu ertragen. Ihm stockte der Atem, als er die Gesichter der Menschen vor sich auftauchen sah, die er auf Hutchs Hochzeit getroffen hatte, alle erschrocken, verwirrt und voller Trauer. Die Bilder verschwanden und kamen ihm kurz darauf wieder in den Sinn. »Um Himmels willen, Dom«, sagte er leise.
    Dom drehte sich zu ihm um. »Was ist denn?«
    Aber Luke konnte sich nicht beruhigen. Es war so wie damals an der Uni, als er diese Wasserpfeife geraucht hatte. Bis zu diesem
Moment war er noch nie dermaßen verängstigt gewesen, hatte sich noch nie so entsetzlich davor gefürchtet, dass er die Kontrolle verlor und nicht mehr in der Lage war, sein Selbst wiederzufinden. Damals war es ihm vorgekommen, als würden seine Erinnerungen in rasendem Tempo in der Zeit zurückgehen und sich selbst vernichten. Es hatte erst aufgehört, als er kotzend und nach Atem ringend über der Kloschüssel gelegen hatte. Und nun brach eine ähnliche Panik über ihn herein, eine Angst, die alles verzehrte und mit einem Schrecken verseuchte, der jede andere Wahrnehmung unmöglich machte. Sein Herz pochte bis zum Hals, unter seinem Haarschopf brach der Schweiß aus und durchtränkte seinen Stoffhut.
    Das ist nur natürlich, sagte er sich. Lass es einfach geschehen. Irgendwann ist der Schmerz verbrannt, dann hört er von allein auf.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Dom.
    Luke holte dreimal tief Luft und rieb sich über die Augen, bis der Panikanfall nachließ. Er öffnete die Augen wieder, als sein Herzschlag sich beruhigte. Dann zog er seinen Tabak, die Blättchen und das Feuerzeug aus der Tasche von Hutchs

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