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Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual

Titel: Im tiefen Wald - Nevill, A: Im tiefen Wald - The Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Nevill
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mit meiner jämmerlichen Krücke andauernd hinfalle. Bestimmt nicht besonders weit, das steht mal fest. Also mach dich auf den Weg und hol Hilfe, Luke. Ich sag das nicht bloß so dahin. Die Leute da draußen müssen erfahren, was uns hier passiert ist.«
    »Ich kann nicht.« Seine Stimme klang mitleiderregend und dünn vor dem Hintergrund der kalten feuchten Luft, der Felsen und des Waldes, der in seiner allmächtigen und endlosen Undurchdringlichkeit kaum zu besiegen war, seiner wuchtigen Präsenz und Allgegenwart.
    »Was soll das denn bringen?«, fragte Dom mit leiser Stimme, die jetzt irgendwie älter klang. Luke hatte ihn noch nie in diesem Ton reden hören. Es war die Stimme eines Vaters, eines Mannes. »Es war anders, als wir noch zu dritt waren. Jetzt hat sich alles geändert. Du musst dir eine Chance geben. Ich würde
das auch tun. Falls es das leichter für dich macht. Wenn die Situation umgekehrt wäre und du wärst verletzt, dann wäre ich schon längst losgegangen. Wenn du hier bei mir bleibst, bist du dem Tod geweiht.«
    Luke schlug die Hände vors Gesicht und biss die Zähne zusammen. Er hatte sich noch nie in seinem Leben so unglücklich gefühlt. Am liebsten hätte er angefangen zu weinen.
    Dom senkte die Stimme zu einem Flüstern. Er streckte einen Arm aus, fasste Lukes Oberarm und drückte ihn. »Bitte, geh. Es wird mich sowieso als Nächstes aufs Korn nehmen. Du kannst nicht die ganze Zeit auf mich aufpassen und darauf achten, wohin du deine Füße setzt. Das geht einfach nicht. Du hast dein Bestes gegeben, aber es gibt jetzt gar keine Alternative mehr. Sonst wird es sich uns beide holen. Zuerst mich, wenn du gerade nicht aufpasst. Und dann dich. Ich komme aus diesem Wald morgen nicht heraus, auch wenn ich alles versuche. Und das bedeutet, dass wir noch eine weitere Nacht hier verbringen müssen. Das weißt du doch.«
    Luke versuchte, seine Gefühlsaufwallung zu unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. »Scheiße, Dom, Scheiße.« Er schluckte. »Es ist mir egal, wie lang es dauert. Wirklich. Aber wir werden hier zusammen losgehen. Morgen. Ganz früh. In deinem Tempo. Wir gehen, machen Rast, gehen weiter. Und passen aufeinander auf. Wir lassen den ganzen Krempel hier liegen. Wir gehen zusammen oder überhaupt nicht.«
    Dom drückte seinen Arm noch fester. Er weinte und versuchte, es zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht, und er wurde wütend auf sich selbst. »Scheiße.«
    »Es ist okay, alles okay.«
    Dom stöhnte auf und räusperte sich. »Ich hatte mir das alles zurechtgelegt. Und jetzt hast du es ruiniert.«
    Sie schnieften beide, denn ein richtiges Lachen bekamen sie nicht mehr hin.

    Dom räusperte sich. »Jetzt hast du mir neue Hoffnung gegeben. «
    Luke streckte den Arm aus und umfasste Doms Schulter.
    Und vom Fuß der Anhöhe, dort unten, nicht mehr als zwanzig Meter entfernt von ihnen, ertönte ein langes und grässliches Geräusch aus einem unsichtbaren Maul, ein bösartiges Bellen, das den Hang hinaufdrang wie eine Kampfansage, die jeden Quadratmeter in der Umgebung erzittern ließ.

40
    Ein Vogelschwarm erhob sich in den Himmel und machte sich eilig auf in Richtung Süden, verzweifelt bemüht, eine möglichst große Distanz zwischen sich und das Geräusch zu bringen, das dort unten auf dem Erdboden ertönte. Die Kreatur war direkt unterhalb des Hügels und bewegte sich mit lautlosen Schritten durch die Bäume auf der südlichen Seite.
    Die Farbe des Himmels wechselte von grau zu dunkelblau und schluckte die jämmerlichen Reste des in der Ferne glänzenden Sonnenlichts. Alles, was eben noch sichtbar war, nahm unklare schattige Konturen an, und die Silhouetten der Felsen warfen lange schwarze Streifen auf den immer undeutlicher erkennbaren Erdboden. Überall breiteten sich dunkle Flecken aus, in die ein verängstigtes Gehirn alle möglichen bedrohlichen Formen hineininterpretieren konnte.
    Dom stand nicht auf. Unter dem struppigen Bart wirkten seine schorfigen Lippen dunkelrot, als wären sie mit tiefrotem Wein benetzt. Seine weit aufgerissenen Augen füllten sich mit einem Ausdruck des Wahnsinns. Es war unmöglich in dieser Atmosphäre des nackten Horrors, die sie unbarmherzig zu Boden zwang, etwas zu sagen. Lukes linkes Bein zappelte unkontrolliert vor sich hin. Er stand aufrecht da, ganz steif, und starrte den Abhang hinab, dorthin, von wo das schreckliche Gebrüll gekommen
war. Jeden Moment erwartete er, dass sich ein langer massiger Schatten vor dem Gestrüpp dort unten abhob.
    Er

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