Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
um ein kleines Detail zu überprüfen: Als er vorhin um die Kurve gebogen war, hatte er im Augenwinkel etwas auf dem Gleis liegen sehen. Etwas Schwarzes, Längliches mit rundem Querschnitt. Es hätte zum Beispiel ein dickes Kabel oder ein Schlauch sein können. In jenem Moment war Tolik so auf die Untersuchung des Trümmerhaufens fixiert gewesen, dass er das Ding auf dem Gleis sofort wieder vergaß . A ber jetzt hätte er schwören können: Als sie von dort abzogen, war dieser seltsame Schlauch nicht mehr da gewesen.
Natürlich konnte er dieses unerhebliche Detail auch einfach außer Acht lassen. Doch eins hatte Tolik verinnerlicht: In den dunkeln Tunneln der Metro gab es keine unerheblichen Details. Jede noch so unscheinbare Nebensächlichkeit, die du ignoriert hattest, konnte sich im Nu zu einer handfesten Bedrohung auswachsen und dich unter Umständen das Leben kosten.
Auf welche Weise also war jener Gegenstand, den er deutlich gesehen hatte, auf einmal verschwunden? Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder jemand hatte ihn weggeräumt, oder dieser mysteriöse Schlauch konnte sich selbstständig fortbewegen. Berücksichtigte man die eigen artigen Geräusche, den aufgeworfenen Boden und den Vorfall mit Mitjai, so drängten sich beunruhigende Schlüsse auf. Wie war das riesige Loch in den Boden gekommen?
Tolik blickte sich um, als er im Hintergrund ein heiseres Stöhnen hörte. Mit hängenden Schultern und gesenktem Haupt schleppte sich Nikita über die Schwellen. Wie ein Verurteilter auf dem Weg zum Schafott. Wie ein alter Witwer, der in diesem Leben an nichts mehr Freude hatte. Er wirkte schicksalsergeben und resigniert. Warum zum Henker hatte er sich dann in dieses Abenteuer gestürzt?
Der Trupp erreichte die Station Dinamo . Die Wachen waren ausgesprochen wohlgenährt und trugen die typischen Lederjacken, die hier gefertigt wurden. Tolik und seinen Leuten wurde ein Aufpasser zur Seite gestellt, obwohl sie die Station nur durchqueren wollten. Nicht dass diese anarchistischen Hungerleider noch etwas mitgehen ließen!
Am Bahnsteig reihte sich Nähstube an Nähstube. Im Übrigen gab es nicht viel Aufregendes zu sehen: Schweinehäute, die zusammengerollt auf dem Boden lagen, Schweinehäute, die zum Trocknen aufgespannt waren, und Schweinehäute, die in Farbbädern lagen. Die reinste Lederjackenmonokultur.
Am Eingang in den Tunnel, der zur Belorusskaja führte, wurde der Trupp wieder sich selbst überlassen. Tolik begann abermals die Seitengänge zu zählen. Nummer sieben. Nummer acht …
Bei Nummer neun ordnete der Kommandeur eine Pause an. Die Saboteure hatten den Treffpunkt erreicht.
Das Antwortsignal aus der Dunkelheit kam nicht sofort . A rschinow war anscheinend übervorsichtig und ließ sich verdammt viel Zeit, bevor er das vereinbarte Lichtzeichen mit der Taschenlampe gab. Tolik war darüber ziemlich erbost. Hielt der alte Suffkopf ihn und seine Leute für Anfänger? Wollte er ihnen einen Schrecken einjagen? Dem dreisten Fähnrich würde er es schon zeigen!
Tolik trat in den Seitengang, ohne das Licht einzuschalten, und tastete sich an der Wand entlang. Er versuchte möglichst lautlos zu gehen, um Arschinow zu überraschen.
Dass der Waffenlieferant einst als Fähnrich bei der Marine gedient hatte, war für Tolik eine Neuigkeit gewesen, doch als Anarchisten kannte er ihn schon länger.
Sobald es zu hitzigen Streitgesprächen kam, was an der Woikowskaja mit schöner Regelmäßigkeit geschah, verwandelte sich der rotgesichtige, äußerlich eher beschränkt wirkende Trunkenbold unversehens in einen scharfsinnigen Diskutanten . A n seiner Zigarette nuckelnd hörte er seinen Kontrahenten aufmerksam zu und widerlegte dann ihre Argumentation. Nicht unbedingt mit rhetorischer Eleganz, aber stets präzise und überzeugend . A ls würden die anderen ihn mit dem Degen bekämpfen und er mit dem Schürhaken zurückschlagen. In solchen Situationen zeigte sich, dass der Fähnrich ein außergewöhnlich heller Kopf war, der sich mit Worten durchaus zu wehren wusste und nicht nur von Waffen etwas verstand.
Für Arschinow bedeutete Anarchie in erster Linie uneingeschränkte Freiheit, und er war davon überzeugt, dass die Menschen früher oder später lernen würden, mit dieser Freiheit umzugehen. Für Toliks Ansichten über Gerechtigkeit und Moral hatte der Fähnrich nur ein müdes Lächeln übrig, das so in etwa besagte: Werd du erst mal so alt wie ich, dann kapierst du es auch.
Tolik gehörte eher zu denen, die in
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