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Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Antonow
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zusammenzuziehen und mal auszudehnen, als könnte er sich nicht für eine Größe entscheiden. Seltsam, dass Nikita nichts davon bemerkte.
    Auch Toliks Wahrnehmung veränderte sich. Er sah Dinge, auf die er normalerweise nicht geachtet hätte. Zum Beispiel feinste Risse in der Wand, den gasartigen Lichthof, der die Glühwendel der Lampe umgab, oder die Poren in Nikitas Gesicht.
    Jeder Laut zerfiel in seine Bestandteile, und sein Gehirn setzte diese einzelnen Komponenten in Echtzeit zu einem dreidimensionalen Bild der Geräuschquelle zusammen. So nahm Tolik beispielsweise den nervösen Herzschlag seines Henkers wahr. Er konnte buchstäblich sehen, wie dessen Herzmuskel pumpte.
    »Wir sind da«, verkündete der Verräter und zeigte mit dem Finger auf die erste Tür. »Dort wartet dein Freund auf dich, der uns so viel Scherereien gemacht hat. Und viele andere, die an der Dserschinskaja zum Tod verurteilt wurden. Mach auf … Bringen wir es hinter uns.«
    Tolik öffnete die Tür. Er rechnete damit, einen mit Leichen gepflasterten Tunnel, Maschinenraum oder etwas in der Art zu sehen. Doch nichts dergleichen. Nur schwarze Leere und ein Stück Betonboden, der einen halben Meter hinter der Tür abrupt endete.
    Tolik wandte sich zu Nikita um, der bereits mit der Pistole auf ihn zielte.
    »Und was ist hinter der zweiten Tür?«
    »Wozu willst du das wissen?«
    »Reine Neugier.«
    »Na meinetwegen, wenn du lieber klüger stirbst: Dort ist eine Leiter, die durch einen Lüftungsschacht nach oben führt. Bis zum Abdeckhäuschen des Schachts an der Oberfläche. Das ist sehr praktisch für die Experimente des Professors . A ngesichts unserer innigen Freundschaft hätte ich kein Problem damit, dich durch die zweite Tür zu schicken und an der radioaktiven Strahlung krepieren zu lassen . A ber du musst schon entschuldigen – das ist mir jetzt zu viel Stress.«
    Tolik ließ Nikitas ausgestreckten Arm nicht aus den Augen. Während der Verräter sprach, senkte sich der Lauf seiner Pistole minimal ab. Höchstens um einen halben Zentimeter. In seinem Normalzustand hätte Tolik das überhaupt nicht bemerkt. Doch jetzt waren seine Sinne maximal geschärft, und die Energie, die sich in ihm angestaut hatte, drängte nach außen.
    Er lächelte. Und als er Nikitas Verblüffung bemerkte, begann er zu lachen: »Schade, dass du im Hinterkopf keine Augen hast.«
    »Du wirst mich nicht dazu bringen, mich umzusehen«, erwiderte Nikita alarmiert. Seine Pistole senkte sich um weitere fünf Millimeter. »Damit kommst du bei mir nicht …«
    Tolik sprang. Ihm kam es so vor, als schwebte er durch die Luft . V iel zu langsam für den reaktionsschnellen Nikita. Doch dieses subjektive Gefühl trog. Der Verräter hatte noch nicht einmal gezuckt, als Toliks Faust gegen seinen Kiefer krachte.
    Der Schlag war so heftig, dass Nikita gegen die Wand geschleudert wurde. Tolik stellte bedauernd fest, dass er seine außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht richtig kontrollieren konnte. Denn jetzt war der NKWD ler außer Reichweite, und die Pistole hatte er dummerweise nicht fallen lassen. Bei einem neuen Angriff hätte er den aufsässigen Gefangenen kurzerhand abgeknallt.
    Tolik brauchte nur Sekundenbruchteile, um die Situation zu erfassen: Seine einzige Chance war ein Sprung in die schwarze Leere hinter der Tür . A ls seine Beine vom Boden abhoben, krachte ein Schuss, und in seinen Hinterkopf fuhr ein Schmerz wie ein Hammerschlag. Im nächsten Moment spürte er den Boden unter den Füßen. Doch er hatte keine Chance, das Gleichgewicht zu halten. Durch seinen eigenen Schwung überschlug er sich mehrfach, und sein Kopf prallte gegen eine harte Betonwand. Er hatte das Gefühl, in einen finsteren Brunnen zu stürzen.

9
    LEICHENSCHAU
    Tolik fror, als er wieder zu sich kam, und ihm fiel sofort auf, dass er die Außenwelt immer noch extrem detailgenau wahrnahm. Der Zustand der Bewusstlosigkeit war diesmal traumlos verlaufen. Er konnte sich an alles erinnern, was geschehen war.
    Gerettet!
    Um diesen Erfolg nicht aufs Spiel zu setzen, schien es ratsam, schleunigst das Weite zu suchen. Tolik beschloss, aufzustehen und ein paar Übungen zu machen, um sich aufzuwärmen. Doch kaum dass er auf seinen Beinen stand, gab der Boden unter ihm nach, und vor seinen Augen tanzten bunte Kreise.
    Mühsam schleppte sich Tolik zur nächsten Wand. So würde das nichts werden mit seiner Flucht. Er betastete sein Gesicht. Nur ein paar Kratzer, die er sich bei dem halsbrecherischen Sturz zugezogen

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