Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
verschlagen hatte. Und ein alter Mann, der behauptete, dass es die Station Dinamo niemals gegeben habe und die Belorusskaja längst Geschichte sei.
Vielleicht war der Lüftungsschacht, durch den sie entkommen waren, so eine Art Portal, durch das man in eine Parallelwelt gelangte? Oder ein Korridor, der aus der Gegenwart in die Zukunft führte?
»Aber irgendwo muss man von hier aus doch hinkommen?«
»Irgendwohin natürlich«, mümmelte der Alte. »Die Frage ist, wo ihr hinwollt?«
»Egal, meinetwegen in die Hölle«, blaffte Krabbe. »Hauptsache, ich muss mir dein idiotisches Geschwätz nicht länger anhören.«
Charon ignorierte die Beschimpfung und ging einfach los. Barfuß schlappte er über einen rissigen Betonpfad, der tiefer in den Seitentunnel hineinführte. Den beiden Verirrten blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Sie gaben es bald auf, dem Alten Fragen zu stellen. Eine vernünftige Antwort war von dem Kauz ohnehin nicht zu erwarten. Stattdessen leuchtete Tolik mit der Taschenlampe umher und inspizierte die Röhre, durch die sie jetzt gingen.
Hier sah es völlig anders aus als in dem Tunnel von vorhin . A us quadratischen Aussparungen in der gewölbten Decke ragten rostige Drahtgitter hervor . A nders als in üblichen Metrotunneln gab es hier an den Wänden weder Halterungen noch Kabel oder Rohre. Überall lagen demolierte Wellblechteile herum, die offensichtlich von den Wänden gerissen worden waren . A uf dem sandbedeckten Tunnelboden türmten sich Ziegelstapel und Schotterhaufen.
Der schmale Betonpfad endete alsbald – zum Leidwesen des barfuß laufenden Tolik. Er stakste wie auf rohen Eiern, da sich ständig spitze Steine in seine Sohlen bohrten. Hin und wieder kam das Trio an schlampig aufgestapelten Gleisschwellen vorbei.
Nach allem, was er gesehen hatte, kam Tolik zu dem Schluss, dass es sich um einen unvollendeten Tunnel handeln musste. Möglicherweise einer von denen, die in alten Metrokarten als blasse Linien oder punktiert eingezeichnet waren. Seltsamerweise hatte bislang niemand davon gewusst, dass es im Umfeld der Stationen Belorusskaja und Dinamo einen solchen Tunnel gab.
Im Unterschied zu Tolik und Krabbe, die ständig stolperten, bewegte sich der Blinde mit traumwandlerischer Sicherheit. Offenbar ging er diesen Weg nicht zum ersten Mal. Mit seinem Rohrstock tastete er geschickt den Boden ab, und es schien ihm nichts auszumachen, barfuß über scharfkantige Ziegel zu laufen.
Hin und wieder griff der Alte in ein Säckchen an seinem Gürtel, nahm ein undefinierbares braunes Etwas heraus, steckte es sich in den Mund und begann, darauf herumzukauen. Tolik mutmaßte, dass der Greis sich an gedörrtem Rattenfleisch gütlich tat. Doch er irrte sich.
Als Charon das nächste Mal in sein Säckchen griff, konnte Krabbe seine Neugier nicht mehr bezähmen.
»Was mampfst du denn da, Alterchen? Kann man mal probieren?«
Der Greis lachte sein schepperndes Lachen und drückte dem Banditen ein verschrumpeltes, braunes Fragment in die Hand. Krabbe beäugte es skeptisch, steckte es in den Mund, kaute eine Weile, verzog das Gesicht und spuckte angewidert eine braune Masse aus.
»Was ist das für ein ekelhaftes Zeug?«
»Ein e Varietät des Spitzkegeligen Kahlkopfs, die hervorragend an das hiesige Mikroklima angepasst ist. Sie erweitert den Bewusstseinshorizont. Deshalb kann ich auch weiter vorausschauen als ihr.«
»Bitte?«
Während Krabbe noch rätselte, wovon der Kauz überhaupt sprach, wusste Tolik sofort, was Sache war. Der Alte erweiterte sein Bewusstsein mit Magic Mushrooms. Das erklärte einiges. Da musste man keine Parallelwelten oder Zeitportale bemühen. Der Pilzjunkie lebte in seiner eigenen Welt, und es machte nicht viel Sinn, ihn nach so prosaischen Dingen wie einer Metrostation zu fragen.
Auch die riesenhafte Ratte aus seinem Gedicht war vor diesem Hintergrund nicht weiter verwunderlich. Hätte er ein paar mehr von seinen Pilzen eingeworfen, wären womöglich geflügelte Elefanten bei ihm vorstellig geworden.
Wohin führte sie der Alte?
Als Tolik überschlug, wie lange sie schon unterwegs waren, wurde ihm klar, dass bekannte Stationen bereits in weiter Ferne lagen. Er packte Charon am Arm und zwang ihn, stehen zu bleiben.
»Wo führst du uns hin?«
»Ihr habt doch gesagt, dass es euch egal ist, wo ihr hinkommt, deshalb ist es mir auch egal, wohin ich euch führe.«
»Jetzt reicht’s! Schluss mit den durchgeknallten Sprüchen! Wann kommen wir an?«
»Bald.
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