Im Tunnel: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
schwarzen Buchstaben zu lesen.
Die fremdländischen Schriftzeichen konnte Tolik entziffern – sie waren ihm noch aus seiner Kindheit geläufig . A us der Lektüre von Gumiljow und anderen Büchern konnte er sogar erschließen, dass der Text lateinisch war.
Die Worte »Satanas« und »Luciferi« fielen Tolik sofort ins Auge. Gerüchten zufolge gab es in der Metro eine Station mit Satanisten, die einen endlosen Schacht in die Erde trieben . A ngeblich hofften sie, sich bis zum Reich des Teufels vorzugraben.
Tolik wähnte sich bereits jetzt in der Hölle.
Zwischen Stapeln von Marmorplatten, die man aus dem Boden gerissen hatte, loderten zehn Lagerfeuer, an denen Männer und Frauen mit schmutzigen Gesichtern und fettigen Haaren hockten. Wie Charon trugen sie Ketten aus Rattenzähnen um den Hals und dieselbe ominöse Tätowierung auf dem Arm.
In der Mitte des Bahnsteigs erhob sich eine Abraumhalde, auf der furchterregende Gestalten saßen. Sie ähnelten dem Gorilla, der Tolik und Krabbe zur Station gebracht hatte. Die beiden Unglücksraben kamen gerade recht, um einem Festgelage beizuwohnen. Die Fanatiker verschlangen fettes Fleisch, das sie in gewaltigen Stücken von Drehspießen rupften . A uf herunterfallende Essensreste stürzte sich gierig das Dienstpersonal.
An der Stirnwand der Bahnsteighalle waren die Reste eines Mosaikbilds zu erkennen. Davor hatte man drei lange, dicke Rohre in den Boden gerammt . A m mittleren Rohr hing ein großes Holzkruzifix. Die kanonischen Züge des Gottessohns hatte der unbekannte Bildhauer zwar nur grob wiedergegeben, doch der Gram in seinen Augen war gut getroffen . V oller Kummer blickte der hölzerne Jesus von der boshaften Golgota-Parodie auf die Station herab – so als wollte er sagen: »Ihr guten Menschen, was ist in euch gefahren?«
Die beiden anderen Rohre waren mit Querbalken bestückt und mit einer dicken Schicht Ruß überzogen. Zu Füßen der Kreuze schimmerten schwarze Lachen am Boden – vermutlich handelte es sich um Maschinenöl.
Die Wände der Timirjasewskaja waren mit Pentagrammen und lateinischen Beschwörungsformeln beschmiert. Man konnte sich an fünf Fingern abzählen, wer die Station in Beschlag genommen und so verschandelt hatte. Dabei hatte Tolik wegen des stinkenden Qualms das Schlimmste noch gar nicht gesehen.
In der Mittelachse der Bahnsteighalle verlief eine Reihe von Säulen, die mit stilisierten, schmiedeeisernen Blüten gekrönt und jeweils mit Stahlrohren eingezäunt waren. Der Abstand zwischen den Rohren betrug höchstens fünf Zentimeter, nur an einer Stelle war er so groß, dass sich ein Mensch hindurchzwängen konnte. Dieser Eingang wurde von einem Gittertor versperrt, das über ein seltsam geformtes Schloss verfügte.
Die meisten dieser improvisierten Käfige waren mit Gefangenen besetzt. Manche saßen einfach auf dem Boden, andere standen und hielten sich an den Gitterstäben fest – abgemagerte, zerlumpte Gestalten, die mit leeren Augen in die Gegend starrten. Sie wurden augenscheinlich zu irgendwelchen Arbeiten eingespannt, denn nur vom Herumsitzen im Käfig konnte man unmöglich so dreckig werden.
Als Tolik und Krabbe an der Abraumhalde in der Mitte der Bahnsteighalle vorbeigingen, sahen sie, womit die armen Teufel beschäftigt waren. Über einer gut zehn Meter tiefen Grube stand ein Dreibein, auf dem eine Rolle befestigt war. Über diese Rolle lief ein Seil, an dem ein rostiger Förderkübel hing.
Eine Gruppe von Gefangenen am Boden der Grube befüllte den Kübel mit bloßen Händen mit Aushubmaterial. Dann packten sie das lose Ende des Seils und zogen den Behälter nach oben. Dort warteten bereits drei weitere Sklaven, die den Kübel leerten und wieder hinunterließen. Wenn es den Aufsehern nicht schnell genug ging, setzte es Peitschenhiebe auf den nackten Rücken.
Einer der Wärter nagte eine gebratene Ratte ab und machte sich einen Spaß daraus, das Skelett in die Grube zu werfen. Unten brach sofort ein wüstes Hauen und Stechen aus. Die Sklaven schlugen so lange aufeinander ein, bis die Überreste der Ratte beim Stärksten gelandet waren. Der verzog sich dann in eine Ecke der Grube und machte sich gierig schmatzend über die Beute her. Der »großzügige« Aufseher trat kichernd an den Rand der Grube und ließ seine Hose herunter. Über die Köpfe der Sklaven ergoss sich ein schaumiger Strahl.
So etwas hatte Tolik noch nie erlebt. Weder bei den Faschisten noch bei den Kommunisten. Selbst an der völlig verrohten Majakowskaja
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