Im Visier des Verlangens
Wolken ihrer trüben Gedanken zu durchdringen.
Hirngespinste. Sein Anblick führte ihr vor Augen, wie sehr ihre Beziehung im Argen lag. Sie wandte den Blick wieder aus dem Fenster zum Wiesenweg hinüber, den sie vor wenigen Stunden auf der Suche nach Ned eingeschlagen hatte. Nun tauchte die untergehende Abendsonne die braunen Stoppelfelder in goldenes Licht, und sie wollte nicht daran denken, was er ihr bei der Begegnung gesagt hatte.
Die Aufmerksamkeit, die er ihr entgegenbrachte, war eine flüchtige Anwandlung, eine Frage der Höflichkeit. Und was immer sich daraus entwickeln würde, sie fühlte sich alleingelassen. Einsamer denn je.
Sie hörte, wie er sich räusperte. „Gareth und Jenny reisen in einer halben Stunde ab. Harcroft bricht morgen früh nach Chelsea auf.“
Erstaunt drehte sie sich zu ihm um. „Wieso das denn?“
Ned trat ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich. „Ich habe es vorgeschlagen.“
„Und wieso hast du es vorgeschlagen?“ Kate spürte, wie ihre Hände zitterten. „Hat man Louisa gefunden?“
„Nein, Kate“, antwortete er gedehnt. „Ich habe versprochen, selbst nach ihr zu suchen, da ich mich in der Gegend auskenne wie kein anderer, und regelmäßig über meine Fortschritte zu berichten.“
Noch schlimmer. Nun war sie gezwungen, ihm aus dem Weg zu gehen und falsche Fährten zu legen. Harcroft zu belügen, betrachtete sie als ihre Pflicht Louisa gegenüber. Ned zu belügen, das stand auf einem ganz anderen Blatt.
„Und wirst du das tun?“
„Ich suche, bis sie gefunden ist“, antwortete er sanft. „Gibt es vielleicht etwas, das du mir in dieser Sache sagen willst?“
Nichts. Sie konnte ihm nichts sagen.
Er trat neben sie. Die rötlichen Strahlen der Abendsonne tauchten sein Gesicht in warme Goldtöne.
„Wenn du mir etwas im Vertrauen beichten möchtest, hast du mein Wort, dass es unter uns bleibt.“
Sein Wort? Sie wünschte so sehr, Vertrauen zu ihm haben zu können. Aber …
„Dein Wort, wie du es mir vor dem Traualtar gegeben hast?“ Diese Frage stellte sie zunächst als Warnung für sich selbst. Denn es war töricht, auch nur in Erwägung zu ziehen, offen mit ihm zu sprechen; noch törichter war der Wunsch, ihm zu vertrauen. Sie hörte, wie er einatmete. „Nun bist du wütend, weil ich an dir zweifle.“
„Wütend?“, fragte er beinahe amüsiert. „Nicht unbedingt.“ Er legte die Hand an die Rückenlehne des Sofas, so nah an ihrem Gesicht, dass sie ihre Wange daran schmiegen könnte. Sie hob den Kopf, blickte ihm in die Augen und sah nichts Verdächtiges, nur diesen warmen braunen Glanz. Keinen Zorn. Keinen Unmut. „Ich fürchte, ich habe erst bei unserem Gespräch am Nachmittag wirklich begriffen, wie sehr ich dich verletzt habe.“
Kate ertrug es nicht länger, ihm in die Augen zu sehen. Seine Worte kamen ihren Träumen, ihren heimlichen Wünschen zu nahe. Sie durfte sich keinen Illusionen hingeben, um nichtwieder enttäuscht zu werden. Schließlich hatte sie in leidvoller Erfahrung gelernt, dass ihre Ehe eine Sache der Vernunft war, die es zu ertragen galt. Mit Zorn und Unmut konnte sie umgehen. Aber Güte und Freundlichkeit nährten Hoffnungen, und Hoffnungen würden sie vernichten.
„Was siehst du eigentlich in mir, wenn du mich so anschaust? Ein verängstigtes, verletztes Geschöpf, eine enttäuschte Frau, die man zuvorkommend behandelt?“
Er blieb ihr die Antwort schuldig, umrundete das Sofa und trat vor sie hin. Nun musste sie ihn direkt ansehen. Wenn sie den Kopf senkte, würde er denken, sie sei tatsächlich verängstigt, und er könne sie immer noch verletzen. Also begegnete sie seinem Blick. Er nahm sie bei der Hand und zog Kate behutsam auf die Füße.
Ned war wesentlich größer als sie, und als er so dicht vor ihr stand, kam sie sich plötzlich winzig vor.
Sie hätte niemals von ihrer Angst sprechen dürfen, das las sie in seinen Augen, spürte es am Griff seiner Finger um ihr Handgelenk. Da ihr diese unselige Bemerkung dennoch entschlüpft war, fragte sie sich nun, was sie ihm noch gestehen würde? Dass ein verräterisches Sehnen sie drängte, sich an ihn zu lehnen, den Duft seiner Rasierseife zu atmen, sich der Berührung seiner Hände auf ihrer nackten Haut hinzugeben?
Vielleicht würde sie gestehen, dass ihre Angst sie daran hinderte, ihrem Sehnen nachzugeben, weil sie befürchtete, er würde sie wieder verlassen.
Kate versuchte, ihm ihre Hand zu entziehen, aber sein fester Griff fühlte sich an wie eine mit Samt
Weitere Kostenlose Bücher