Im Wald der gehenkten Füchse
Kiureli auf dem Sommerschlitten festgeschnallt. Erst haben sie ihn geschlagen und dann angebunden, und zwei Soldaten haben sich auf ihn raufgesetzt, als man ihn wegbrachte. Er ist nie wiedergekommen!«
Der Tränenstrom versiegte nicht. Schließlich spürte der Major selbst einen Kloß im Hals. Wenn in seinem Bataillon mal ein empfindlicher Rekrut bei anstrengenden Übungen angefangen hatte zu weinen, hatte der Major die Tränen des Jungen unter Umständen mit der Faust getrocknet. Hier war die Situation schwieriger. Er bat Naska, mehr von Kiurelis Schicksal zu erzählen. Vielleicht würde es ihr helfen.
Kiurelis Geschichte in ihrer ganzen Ausweglosigkeit machte tiefen Eindruck auf den Major. Er bekam Mitleid mit der armen alten Frau, er band sie los, entzündete neben dem Schlitten ein Lagerfeuer und bot ihr belegte Brote an. Naska hörte auf zu weinen, reckte ihre unter den Seilen steif gewordenen Glieder und nahm Jermakki auf den Schoß. Hier in der Wärme des Lagerfeuers und beim Verzehr der Brote erzählte sie von ihrem früheren Leben in Suonjeli, das frei und herrlich gewesen war. Nach Kiurelis Abtransport hatte sie es allerdings sehr schwer gehabt. Schließlich war der letzte Krieg ausgebrochen. Die Skolt-Samen waren nach Norwegen und Schweden und schließlich nach Sevettijärvi evakuiert worden. Dort in Sevetti ließ es sich ganz gut leben, aber dann waren Vertreter der finnischen Obrigkeit gekommen und hatten sie gefangen genommen. Und jetzt wurde sie wieder gewaltsam abtransportiert. Mit einem alten Weib konnte man so etwas ja machen. Wenn sie noch jünger wäre, ließe sie sich nicht so herumstoßen!
»Versuchen Sie doch, mich auch zu verstehen«, bat Remes einlenkend.
Nein, das tat Naska nicht. Sie fand, Zwangsabtransport sei ein großes Unrecht. Man wurde geholt und gebracht, gefesselt oder am Arm geführt, fehlte bloß noch, dass man geschlagen wurde ...
Als das Feuer erlosch, bat Remes die alte Frau, sich wieder in den Schlitten zu setzen. Man sei erst am Siettelöselkä, und der Tag sei schon halb vorbei. Auf der restlichen Wegstrecke müsse man sich sputen, wenn man vor Einbruch der Dunkelheit in Pulju sein wolle.
»Seien Sie so gut und setzen Sie sich in den Schlitten. Hier, nehmen Sie den Kater. Lassen Sie ihn nicht noch mal weglaufen.« Aber Naska schleuderte Jermakki weit von sich. Sie stellte sich breitbeinig und trotzig vor den Major.
»Ich beiße, wenn du mit den Seilen kommst!«
Der rauhe Major gab nach. Er stapfte los, um den Kater zu holen, und setzte sich dann seufzend auf den Rand des Schlittens. Naska ließ sich mit entschlossen zusammengekniffenem Mund neben ihm nieder.
»Kiureli habt ihr geschlagen und abgeholt, aber mich könnt ihr nicht einfach so rumschubsen«, erklärte sie. Resigniert dachte der Major, dass es schlicht unmöglich sei, diese Fuhre ans Ziel zu bringen. Seinetwegen mochte die Alte in der Hütte bleiben. Was würde Oiva Juntunen dazu sagen? Der Major erklärte Naska, er persönlich habe ihren Abtransport nicht gewollt. Sein Vorgesetzter Oiva Juntunen bestimme über ihr Schicksal. Auch er, der Major, habe also noch einen Herrn über sich. Naska sei mit ihren Tränen und ihrem Geschimpfe bei ihm an der falschen Adresse.
»Lass uns umkehren. Falls der Juntunen Schwierigkeiten macht, dann verdrisch ihn. So lernt er, sich anständig zu benehmen«, riet Naska.
»Ich glaube nicht, dass wir uns deswegen gleich prügeln müssen.«
Der Major blickte in Richtung Pulju. Die hohen Schneewehen und der verschneite Wald luden nicht unbedingt dazu ein, weiterzugehen. Er hätte ziemlich zu kämpfen, bis er am Ziel wäre. Die alte Frau müsste er auf dem Schlitten festbinden und ihr einen Knebel in den Mund stecken. Der Kater müsste auf jeden Fall getötet werden ... Es wäre fatal, mit der gefesselten und geknebelten Alten im Dorf aufzutauchen, wirklich peinlich. Der Major beschloss, den Kampf aufzugeben. Er wendete den Schlitten in der Spur und befahl Naska aufzuspringen.
Freudig überrascht lief sie mit dem Kater im Arm hinter dem Schlitten her. Als der Major sie aufforderte einzusteigen, antwortete sie mit heller Stimme:
»Aber nein, du hast an dem schweren Schlitten genug zu ziehen, ich laufe in der Spur.«
Oiva Juntunen sah durchs Fenster die Prozession: An der Spitze stapfte Major Remes und zog den leeren Schlitten hinter sich her, die alte Frau trabte munter hinterdrein, und als Letzter folgte Kater Jermakki. Irgendwie freute er sich über das, was er sah. Er
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