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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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plagte.
    »Die Bestätigungen hängen auch?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort kannte.
    »Schlimmer. Zwei Drittel der 303er bleiben stecken, der Rest läuft normal. Reiner Zufall, es gibt kein verdammtes Muster. Wir schaffen es nicht zu zweit, alle Handelsbestätigungen über Telex zu schicken und die eingehenden Gegenbestätigungen auch noch manuell zu kontrollieren. Es geht einfach nicht.«
    Sie nickte nachdenklich. Dieser Tag konnte kaum mehr schlimmer werden. »Kommen die Gegenbestätigungen überhaupt rein?«
    »Auch nur zufällig. Das ganze verfluchte System spielt verrückt. Ich könnte dieses Alienpack mit bloßen Händen umbringen, das kannst du mir glauben.«
    »Don glaubt, es liege am SWIFT-Netz.«
    »Glaubt er?«, schnaubte er wild. »Wie schön für ihn. Das ist doch die älteste Ausrede. Schuld sind immer die andern, klar.«
    »Diesmal sieht es tatsächlich so aus. Nicht, dass uns das weiterhelfen würde.«
    »Nicht wirklich«, stimmte er zu. »Also, was tun wir? Wir zwei sollten uns eigentlich um die paar Problemfälle und Reklamationen kümmern und nicht das ganze Confirmation Matching von Hand machen.«
    Sie überlegte fieberhaft, welche Leute sie ihm zur Unterstützung zuteilen könnte. Mit dieser Art von Problemen hatte keiner der Organisatoren gerechnet, die ihre Backoffice-Prozesse laufend optimierten. Mit dem Resultat, dass die meisten Abläufe automatisiert und ihre Teams entsprechend dezimiert waren. Es gab im Grunde keine Redundanzen mehr. Jede Person, die sie diesem Team zur Verfügung stellte, riss sofort eine empfindliche Lücke an anderer Stelle. »Schwierig«, murmelte sie, um Zeit zu gewinnen.
    »In einer Stunde kommt New York rein, dann sind wir tot«, bemerkte der Kollege zwischen zwei Anrufen. Nüchtern, er meinte es wörtlich. Wie zur Bestätigung erhielt er den Anruf eines wütenden Händlers, dessen Risikoposition offenbar auf wackligen Füssen stand. »Tut mir leid, John«, antwortete er gleichmütig, »ich weiß nicht, ob dein Deal bestätigt ist oder nicht. Mir fliegen hier die Telexe und Faxe nur so um die Ohren. Ich ruf dich an, wenn ich deinen finde.« Er hielt den Hörer an der ausgestreckten Hand, bis die Schimpftirade der metallischen Stimme abrupt verstummte, dann legte er auf.
    »Auch der noch«, seufzte Hannah, als sie den schwarz gekleideten Riesen mit der dicken Hornbrille auf sie zukommen sah.
    Ihre beiden Mitarbeiter grinsten bei seinem Anblick. »Das Controlling könnte uns doch helfen«, wisperte der Ältere ihr zu. »Die sind gewohnt zu kontrollieren.«
    Der Riese baute sich vor ihr auf, grüsste überraschend freundlich und wollte wissen, wie sie die Situation einschätzte.
    »Beschissen«, antwortete sie rundheraus.
    Überrascht von ihrer Direktheit, trat er einen Schritt zurück und wartete auf ihre Erklärung.
    »Die Situation läuft aus dem Ruder, das ist meine Einschätzung.« Sie schilderte die Probleme des Zahlungsverkehrs, die zunehmende Unsicherheit über Nostro-Kontostand und Handelsgeschäfte. »Meine Leute arbeiten am Anschlag, und wie es aussieht, ist das erst der Anfang«, schloss sie.
    Der Riese vom Controlling hörte mit steinerner Miene zu. Schließlich nickte er langsam. »So etwas habe ich befürchtet«, murmelte er. »Diese Situation ist äußerst gefährlich für die Bank. Wenn die Risiken nicht mehr unter Kontrolle sind, bleibt nur eine Lösung: Wir müssen den Handel einschränken, und zwar sofort. Bis die Positionen abgeglichen sind.«
    Die einzig vernünftige Lösung, dachte sie. Und der einzige Hoffnungsschimmer für ihre verzweifelte Belegschaft.
     
    Broadgate, London, Stunde Sechs      
     
    Greg schwitzte, obwohl ihm die Klimaanlage eisige Luft in den Nacken blies. Er wusste nicht, worüber er sich größere Sorgen machen sollte: Über den Zustand seines Chefs oder seine Devisenpositionen. Der coole Chefhändler brüllte nur noch ins Telefon. Er war nicht der Einzige im riesigen Handelsraum der ›Global Trust Bank‹, aber der Lauteste. Auch Greg musste wohl oder übel mithören, was er zu sagen hatte.
    »Jeden verdammten Yen werde ich euch belasten«, schrie der Chefhändler in den Hörer. »Wenn ihr das Nostro nicht im Griff habt, ist das nicht mein Problem. Mir ist Scheiß egal wo ihr die Sollzinsen verbucht, aber sicher nicht im Handel, verstanden?« Wütend schleuderte er den Hörer von sich, um ihn gleich wieder aufzuheben. Er drückte eine Taste an der Telefonanlage und brüllte sofort los: »Ich brauche Frankfurt

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