Im Westen geht die Sonne unter
empfindlich. Noch nicht, denn der Handel an ›NYSE‹ und ›NASDAQ‹ jenseits des Teichs hatte erst begonnen. Trotzdem schaute er missmutig auf seine Bildschirme. Im Dealingsystem tat sich so gut wie nichts. Seine viel zu hohe Dollarposition wollte nicht schrumpfen. Er klemmte den Telefonhörer ans Ohr und drückte die Taste der ›Bank of America‹. Sein Bekannter im UFO des ›Hearst Tower‹ reagierte augenblicklich:
»Greg, eine gute Nachricht, und ich erfülle dir jeden Wunsch«, rief er aus.
»Dasselbe wollte ich dir vorschlagen.«
»Seit einer Dreiviertelstunde klebe ich an meinem Pult und verfluche jede Minute. Ich frage mich andauernd, warum ich ausgerechnet diesen Scheiß Job ausgesucht habe.«
»Geld vielleicht?«, vermutete Greg.
»Nicht wenn’s so weitergeht. Hier herrscht das nackte Chaos, unter uns gesagt. Die behaupten, SWIFT sei down.«
Die Kollegen in den Staaten litten an der gleichen Krankheit. Beruhigen wollte ihn diese Erkenntnis nicht. Wenn SWIFT ernsthafte Probleme hatte, war der Zahlungsverkehr akut gefährdet und damit die Liquidität auf dem Markt. Dagegen war ein Totalausfall der eigenen Bank-Computer harmlos. Trotz allem nahm ihm der geplagte Kollege zwanzig Kisten ab. Blieben noch dreiundfünfzig Millionen Dollar, die er so schnell wie möglich und zu jedem Preis loswerden musste.
Sein Telefon klingelte. Ein unbekannter externer Anrufer. Für solche Gespräche hatte er keine Zeit. Er ließ es klingeln, doch der Anrufer gab nicht auf. Ärgerlich hob er ab.
»›Global Trust Bank Devisenhandel, was wünschen Sie?«, schnauzte er ungeduldig.
»Seid ihr immer so freundlich?«
»Ryan! Tut mir leid, ich habe jetzt wirklich keine Zeit. Hier ist der Teufel los.«
»Deshalb rufe ich an. Sag mir einfach, was zum Kuckuck passiert ist, dann bist du mich sofort wieder los. Die ›Reuters‹ und ›Bloombergs‹ spielen vollkommen verrückt. Was geht ab?«
Greg schilderte seinem alten Schulfreund das Chaos in wenigen deftigen Worten.
»SWIFT, seltsam«, murmelte Ryan. »Das kann gefährlich werden.«
»Was du nicht sagst. Tödlich scheint mir eher angemessen. Bei den Deals, die ich abschließen muss, kastriere ich mich selbst.«
»Gut, dass du mich daran erinnerst.«
»Bitte?«
»Kastrieren. Ich muss Mr. Meriwether kastrieren lassen, hätte ich fast vergessen.«
»Meriwether, der Crash-Künstler, der ›LTCM‹ in den Sand ...«
»Der ist schon kastriert«, unterbrach Ryan. »Nein, meinen Kater muss ich kastrieren lassen, sonst wird das arme Tier wieder schwanger, verstehst du?«
»Kein Wort.«
Broadgate, London, Zweiter Tag
Keine Stellvertretersitzung, stellte Don Allen befriedigt fest. Diesmal war das ganze obere Kader der Bank versammelt, als der CEO den Verwaltungsratssaal betrat. Forschen Schritts, mit Röntgenblick und Weltschmerz im Gesicht, ohne Notizen, steuerte er auf seinen Sitz am Kopf des riesigen Tisches zu.
»So, meine Damen und Herren, die Glaubwürdigkeit unserer Bank steht auf dem Spiel, und wir alle, genau wir, tragen die Verantwortung dafür. In einer Stunde versammelt sich hier in diesem Raum das Board of Directors. Sie können sich vorstellen, welches Traktandum zuoberst auf der Agenda steht. In einer Stunde also werde ich Lösungen präsentieren, oder wir können uns alle nach einem neuen Job umsehen. Drücke ich mich verständlich aus, Don?«
In einer Sitzung mit dem CEO musste man jederzeit mit persönlichen Attacken rechnen. Die Gesprächskultur der englischen Eliteschulen sickerte immer wieder durch. Don hatte sich vorbereitet. »Ich hab’s verstanden«, gab er lächelnd zurück.
Seine Gelassenheit reizte das Investmentbanking bis aufs Blut. Wutschnaubend wandte sich Tim Nelson an den CEO. Der Alleinherrscher über alle Geschäfte mit Banken und Firmenkunden litt als Erster unter dem Chaos in Handel und Backoffice. »Walt, wir müssen hier nicht um den heißen Brei herumreden«, sagte er. Rote Flecke zeichneten sich auf seiner Glatze ab. »Seit gestern Vormittag funktioniert so gut wie nichts mehr im Zahlungsverkehr. Ich weiß nicht, was mit der verdammten IT los ist. Ich weiß nur, dass es so nicht weitergehen kann. Unsere computerisierten Abläufe können nicht von einem Tag auf den andern durch Handarbeit ersetzt werden. Sollen wir Fahrradkuriere einsetzen oder was? Der Handel sitzt auf Risikopositionen, die wir noch nicht einmal mit Sicherheit kennen, geschweige denn managen können. Die Verluste laufen aus dem Ruder. Allein
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