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Im Westen geht die Sonne unter

Im Westen geht die Sonne unter

Titel: Im Westen geht die Sonne unter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Anderegg
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Hermans am Hauptgebäude seiner stolzen Firma vorbeijoggte. Der eindrucksvolle Palast, zugleich Prunkschloss und gläserne Kathedrale, beherrschte den riesigen Park bei La Hulpe wie SWIFT den globalen Zahlungsverkehr. So jedenfalls hatte er es sich bisher vorgestellt, wenn er in der Mittagspause seine Runde drehte. Nicht mehr. Gestern Morgen kurz nach neun war seine heile Welt aus den Fugen geraten. Er und die andern Techniker im Überwachungszentrum hatten dem Alarm zuerst keine sonderliche Beachtung geschenkt. Bloß eine Warnung, wie sie zu Dutzenden am Tag über die Bildschirme flimmerten. Einer der Übermittlungsrechner hatte Probleme, konnte keine Meldungen mehr weiterleiten. Ein Fall für die Wartungsmannschaft. Server booten und los geht’s, war die übliche Prozedur. Die narrensichere Software sorgte inzwischen dafür, dass die Meldungen über andere Wege ohne Verzug übermittelt wurden. Das hatte auch gestern funktioniert. Die Software fand augenblicklich Auswegsrouten für die zurückgehaltenen Meldungen, verteilte sie auf andere Server. Dann geschah es. Binnen weniger Sekunden färbte sich ein Knoten und ein Pfad des globalen Netzwerks nach dem andern blutrot. Es war, als beobachteten sie, wie sich eine tödliche Seuche in Sekundenschnelle über die Welt ausbreitete. Die Verbindungen der Banken zu den Rechenzentren in Holland, den USA und der Schweiz brachen vor ihren Augen zusammen, ebenso die wichtigsten Übermittlungswege zwischen den SWIFT-Rechnern. Der Weltuntergang dauerte etwa eine Stunde, doch die Welt schien ihn erst jetzt, einen Tag später, zu bemerken.
    Seine Welt war nicht mehr zu erkennen. Selbst das Schloss und die Stahlschachtel mit den Bullaugen gegenüber, wo sein Arbeitsplatz auf ihn wartete, hatten sich über Nacht verwandelt. Polizeifahrzeuge und Absperrungen blockierten die Zugänge. Einsatzkommandos mit Sturmgewehren bewachten die Checkpoints, Nadelöhre, die jeder passieren musste, der in die Gebäude wollte. Ohne Spezialpass ging gar nichts mehr. Am Hauptsitz seiner Firma herrschte Belagerungszustand. Ein Wunder, dass man ihm erlaubte, auf seinem gewohnten Pfad ein wenig frische Luft zu schnappen. Geschäftsleitung und Kunden von SWIFT, die Global Players der Finanzwirtschaft, gar die belgische Regierung gingen inzwischen von einem terroristischen Anschlag aus. Über dessen Natur tappten alle Betroffenen im Dunkeln. Dave wusste von seiner Freundin in der IT-Security, dass keiner der Virenscanner bisher angeschlagen hatte. Die Firma verwendete die neuste Technologie solcher Sicherheitssoftware, entwickelte selbst laufend bessere Überwachungsprogramme, aber keine der Fallen war zugeschnappt. Die Programmierer suchten ohne Pause fieberhaft weiter, doch Dave glaubte nicht mehr an ihren Erfolg. Die fliegenden Supportteams begannen bereits, Schnittstellen und Knotenrechner bei den Banken auszutauschen, obwohl kein Hinweis auf deren Fehlfunktion vorlag. Eine psychologische Maßnahme zur Beruhigung der Kundschaft, nur half sie nicht lange. Die Helpdesks blieben hoffnungslos überlastet. Die bedauernswerten Gestalten mit den Headsets mussten die stets gleichen nichtssagenden Antworten wiederholen wie ein Mantra. Ein völlig sinnloses Mantra in diesem Fall, nur geeignet, die immer kürzer werdende Zeit zwischen Kaffee- und Rauchpausen zu überbrücken. Dave war einer Gruppe dieser Verlorenen auf dem Weg zum Park begegnet, und er wünschte, er könnte die trostlose Erinnerung löschen.
    Verschwitzt, im durchnässten Trainingsanzug, zeigte er seine ID. Unter den wachsamen Augen des Sicherheitspersonals, das ihn seit Jahren kannte, musste er sich in die Besuchsliste eintragen. Erst nach gründlicher Abtastung war der Weg zurück ins verwünschte Büro frei. Die quälenden Gedanken ans sterbende Netz verfolgten ihn auch während er heiß duschte. Noch gestern Morgen hatte er sich einiges eingebildet auf die Sicherheit und Stabilität seines ›Babys‹, wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen auch.
    »An der Software scheint es nicht zu liegen«, stellte er gleich zu Beginn der nächsten Krisensitzung fest.
    Sein Chef nickte zustimmend. »Nach dem neusten Statusbericht der IT-Security ist ein Programmfehler so gut wie auszuschließen«, bestätigte er. »Unser Problem ist nur, dass bisher auch alle Diagnostik-Programme, mit denen wir die Hardware.Komponenten testeten, ohne Fehler durchgelaufen sind.«
    »Tun sie doch immer«, brummte ein Techniker, doch sein Scherz verhallte ungehört.
    Der

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