Im Wirbel der Gefuehle
und die Brautleute feierlich zusammenstanden. Er hatte leichtes Spiel, denn die beiden Türen der kleinen Kirche standen weit offen und wiesen in den schwülen Abendhimmel, der bleiern über dem ausgedörrten Land lag. In der Ferne hörte man erneut das tiefe Grollen des Donners. Pater Damien beendete die Segnung und ließ mit einer Geste die feierliche Gemeinde wieder ihre Plätze einnehmen. Gehorsam folgten sie seiner Anweisung.
Plötzlich wurde der Priester aschfahl im Gesicht und starrte mit weit aufgerissenen Augen in Richtung der offenen Eingangstüren. Seine Lippen bewegten sich unmerklich, und fast schien es so, als ob er einen stillen Fluch von sich gab.
Reine drehte sich um und folgte seinem Blick, Christien tat ihr gleich. Nach und nach wandten auch alle Gäste flüsternd und raschelnd ihre Köpfe und suchten, etwas zu erkennen.
Zwischen den aufgerissenen Doppeltüren sah man den Schatten eines Mannes, der, den Hut in der Hand, breitbeinig im Eingangsbereich stand. Langsam setzte er sich in Bewegung und schlenderte umstandslos ins Innere der Kapelle. Mit einem sardonischen Lachen blickte er über die Köpfe der hier zusammengekommenen Freunde und Familienangehörigen hinweg, verächtlich betrachtete er den Altar, die Blumengebinde und die feierlichen Kerzen. Als er schließlich Reine entdeckte, machte sich in seinem vernarbten Gesicht ein höhnisches Grinsen breit.
»Haltet ein, brecht die Hochzeit ab«, forderte Theodore ärgerlich. »Die Braut braucht keinen Ehemann. Sie hat bereits einen.«
Einundzwanzigstes Kapitel
Theodore Pingre. Endlich.
Schreie und erschrockene Ausrufe hallten durch die Kapelle. Madame Cassard kreischte auf und sank in die Arme ihres Mannes. Paul fluchte leise vor sich hin, während seine Augen vor Schrecken geweitet waren und er sich instinktiv an die Banklehne vor ihm krallte. Reine erstarrte förmlich und wurde kreidebleich. Wie eine antike Statue aus parischem Marmor stand sie bewegungslos und mit weißem, blutleerem Gesicht im Altarraum, unfähig, eine Regung zu zeigen.
Christien achtete kaum auf das entstandene Chaos und die Aufregung der Gäste, sondern konzentrierte sich voll und ganz auf die Drohgebärde von Theodore.
Er hätte ihn sowieso erkannt, trotz seiner Vernarbungen im Gesicht und dem lichten Bart, der die unansehnlichen Verstümmelungen nur spärlich bedeckte. Die Form seines Kopfes, die Art, wie sein Haar wuchs, seine Schultern, das waren alles Merkmale, die sich Christien gut eingeprägt hatte, sein Porträt hing schließlich im Herrensalon von River’s Edge. Außerdem war da ganz unübersehbar seine Hochnäsigkeit und Arroganz, die eindeutig zu verstehen gab, dass außer ihm im Prinzip niemand der Anwesenden von Bedeutung war. Sein taxierender Blick verriet, dass er Menschen nur nach deren Nutzen für sich selbst bemaß.
Vinot war sich immer so sicher gewesen, dass der junge Pingre noch lebte, während Christien zumindest
zu Beginn durchaus seine Zweifel hatte. In letzter Zeit hingegen häuften sich die Hinweise, und die Vermutung seines alten Mentors schien sich zu bestätigen. Letztlich war es dann nur noch eine Frage der Zeit, bis der Flüchtling aus seinem Versteck herausgelockt werden konnte. Er war nicht gerade stolz auf die dabei angewandte Methode, aber das Ergebnis gab ihm zweifelsohne Recht.
Neben ihm sog Reine hörbar die Luft ein, so als ob sie bis eben die Luft angehalten hätte. Ihr Blick war jedoch nicht auf Theodore gerichtet, sondern auf Vinot und ihre kleine Tochter, die neben ihm stand.
Schreck und Verzweiflung standen ihr ins Gesicht geschrieben, ließen ihr blauen Augen dunkler erscheinen, als sie eigentlich waren.
Marguerite stand zwischen dem alten Fechtmeister und dem Mann, den Vinot mit solcher Leidenschaft hasste, dass es ihn fast verrückt machte. Die Kleine starrte ihren Vater an und war dabei ebenso weiß im Gesicht wie ihr blütenreines Rüschenkleid. Ihre schmalen, blutleeren Lippen öffneten sich, doch sie schaffte es nicht, etwas von sich zu geben, noch nicht einmal einen Schrei.
Papa, oh Papa ...
Ein flüchtiger Gedanke streifte Christien, und mit ihm erfasste ihn größte Abscheu vor sich selbst. Reine wusste, was er und Vinot getan hatten. Vielleicht erahnte sie nicht das volle Ausmaß der ganzen Verschwörung, doch sie begriff mit Sicherheit, warum er plötzlich auf River’s Edge aufgetaucht war, warum er um ihre Hand angehalten hatte und weshalb er sie vor einigen Tagen auf der Waldeslichtung unbedingt in
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