Im Wirbel der Gefuehle
aller Öffentlichkeit lieben wollte. Sie verstand, was hier passierte, und es machte sie sehr wütend, nicht nur, weil sie hintergangen worden war, sondern weil auch noch ihre geliebte Tochter mit hineingezogen wurde.
Er hatte das Kind als Köder missbraucht. Was für ein Monster war er bloß geworden, dass er anderen Leid antat, um die Schmerzen eines Freundes zu lindern? Er redete immer so viel von Ehre, doch hatte er denn selbst ehrenvoll gehandelt?
Reine drehte ihren Kopf zu ihm hin, hob den Blick und schaute ihm geradewegs in die Augen, mit einer solchen Verzweiflung in ihrem Gesichtsaudruck, dass es ihm einen kalten Stich in sein Herz versetzte. Er flüsterte ihren Namen und machte einen beherzten Schritt auf sie zu, doch sie trat zurück und wich ihm
aus.
Jetzt war keine Zeit mehr, Erklärungen abzugeben, selbst wenn es ihm gelänge, die richtigen Worte zu finden. Vinot platzierte Marguerite hinter sich und trat dann aus der Bankreihe in den Gang hinaus. Er reckte seinen Kopf, spannte die Schultern, und in seinem dünnen, ausgemergelten Gesicht erkannte man den Schrei nach schrecklicher Vergeltung. Dann stand er übergroß und drohend vor Theodore.
»Sie leben also noch«, schleuderte er ihm entgegen, wobei jedes Wort wie ein Peitschenhieb klang.
Der junge Pingre blieb abrupt stehen, als ob er gegen eine Wand gelaufen wäre. Sein Gesicht bekam einen ungesunden gelblichen Farbton, sodass seine Narben als feuerrote Brandmale hervorsprangen und das Ausmaß seiner Entstellung deutlich wurde. »Sie!«
»Sie dachten, dass Sie mich nie wieder sehen würden? Aber natürlich, Sie dachten, dass Sie sich wie ein Feigling vor der Rache eines Vaters verstecken könnten. Sie sind eine Schande, Pingre, eine Schande für jeden Mann; sich mit einem Mädchen zu ver-
gnügen, das noch zu jung und unschuldig ist, als dass es den wahren Charakter von Kerlen wie Ihnen hätte erkennen können, sie zu schwängern und dann allein zu lassen, während sie ihren Bastard austrägt, ja, und schließlich daran stirbt. Sie werden dafür bezahlen, was Sie getan haben, Sie werden meinen Degen zu schmecken bekommen. Nennen Sie Ihre Sekundanten !«
»Sie böser alter Mann. Ihre Tochter stand völlig frei in ihrer Entscheidung, wem sie ihre Gunst erweist, eine hübsche junge Dame ...«
»Aufhören! Halten Sie ihr verruchtes Maul, oder ich werde Sie hier an Ort und Stelle töten.«
»Meine Herren!«, rief der Priester dazwischen. »Das ist ein Haus Gottes.«
Christien entfernte sich bedächtig, aber zielsicher aus dem Altarraum und stellte sich demonstrativ neben Vinot. Er dachte, Reine würde Zurückbleiben, doch am Rauschen ihrer Robe über den Boden hörte er, wie sie im dicht auf den Fersen folgte.
Theodore knirschte mit den Zähnen und schluckte die restlichen Worte hinunter, die er sich zurechtgelegt hatte. Mit glasigen Augen und zusammengepressten Lippen ließ er über die Köpfe von Reine und Christien hinweg seinen Blick über die Gemeinde schweifen, so als ob er nach einem ihm freundlich gesinnten Gesicht Ausschau hielte. Doch da war keines.
»Ich habe schon verstanden, wie das hier alles läuft«, knurrte er und warf seinen Kopf zurück. »Das war von Anfang an eine Falle. Sehr schlau, Vinot, einen jüngeren Fechtmeister als Lockvogel zu benutzen, jemanden, der sich auf River’s Edge gut einschmeicheln konnte, um dann meine Frau als Köder zu benutzen. Waren Sie damit einverstanden, Madame? Macht es
Ihnen Freude, mich sterben zu sehen, damit Sie dann endlich eine wirkliche Witwe sein können?«
»Mir wurde gesagt, dass du tot seist«, sagte sie in bleiernem Ton. »Ich habe ganze zwei Jahre lang getrauert, so lange hast du das zugelassen.«
»Was hast du überhaupt gesehen?«
»Deinen Leichnam ... Paul hat ihn gesehen.«
»Das war wohl eher mein alter Onkel. Er war ein paar Tage zuvor gestorben, und nach einer Woche im Wasser und mit meinem Ehering am Finger, konnte man seinen aufgeschwemmten und entstellten Körper problemlos für den meinigen halten. Die Idee dazu hatte meine Mutter, bevor sie Bonne Esperance für immer verließ.«
Ein Raunen ging durch die Menge der Hochzeitsgäste. Mehr als eine der anwesenden Damen sah sich genötigt, ihr Spitzentaschentuch vor den Mund zu pressen, um den unweigerlichen Anflug von Abscheu zu verbergen.
Theodores Stimme war voller Bitterkeit, während er mit versteinerter Miene die Gesellschaft anstarrte. »Ich wollte meiner Mutter, die inzwischen in Paris weilte, nachreisen.
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