Im Wirbel der Gefuehle
Mäuler zerreißen, was für ein gefundenes Fressen für sie. Besser, man wäre gar nicht geboren worden!«
»Wenn es das nicht wäre, würden sie sicherlich etwas anderes finden«, antwortete sie schnippisch. »Sie brauchen immer irgendetwas, um ihr langweiliges Leben ein wenig interessanter zu machen.«
»Aber wir alle sind davon betroffen, das musst du zugeben. Die Frage ist nun, was wird als Nächstes geschehen?«
»Nach dem Duell, meinst du?«
»Duell? Was für ein Duell?«
Sie sprach die Worte höchst besorgt aus. Es war klar, dass ihre Mutter fast nichts mehr von den Vorfällen in der Kapelle wusste. Sie versuchte, in ihrer Wortwahl vorsichtig zu sein, und erklärte ihrer Mutter, was für eine Vereinbarung getroffen worden war.
» Alors «, hauchte ihre Mutter. »Glaubst du ... gibt es eine Chance, dass Theodore das nicht überleben wird?«
Reine wusste nicht so recht, ob in der Stimme ihrer Mutter mehr Furcht oder mehr Hoffnung mitschwang. »Bei so einer Begegnung ist immer alles möglich.«
»Ich habe nur an dich gedacht, weißt du. Nun, und wie schrecklich es wäre, ihn wieder bei uns zu haben, wieder neben ihm am Tisch sitzen zu müssen, zu wissen, dass er gleich um die Ecke, am Ende des Ganges schlafen würde ... und all das. Er ist ziemlich ... ziemlich Furcht einflößend, cherie .«
All das.
Diese zwei Wörter schlossen so viel mit ein, unter anderem, dass Theodore zu ihr ins Bett käme, mit seiner Wut und seiner Verbitterung, sie sein verunstaltetes Gesicht und seinen von Trägheit und Tatenlosigkeit aufgedunsenen Körper ertragen müsste.
»Wie du schon sagtest«, erwiderte Reine, obwohl sie sich eigentlich gar nicht nach Reden fühlte, sondern ihr angesichts dieses Themas nur übel war. »Er hat vielleicht auch ganz andere Pläne. Schließlich war es ja seine Entscheidung gewesen, unterzutauchen.«
»Aber warum bloß? Das verstehe ich nicht.«
»Todesangst vor Monsieur Vinot, so wie es scheint. Doch jetzt, wo er gesehen hat, wie gebrechlich dieser geworden ist, lässt er sich nicht mehr so sehr von dessen Ruf und seinen einstigen Heldentaten beeindrucken. Aber andererseits ist es natürlich Christien, dem er gegenüberstehen wird.«
»Wieso macht er das denn überhaupt? Er ist von seiner Verletzung ja noch gar nicht vollständig genesen«, nörgelte ihre Mutter dazwischen. »Vielleicht werden sie sich auch gegenseitig umbringen.«
»Maman !«
»Es ist zwar furchtbar, so etwas zu sagen, aber das würde für uns am Ende alles viel leichter machen.«
Sie meinte das nicht so, dachte sich Reine, bestimmt nicht. »Auf keinen Fall«, erwiderte Reine nachdrücklich, während sie Alonzo die Tür öffnete, der ein Tablett mit ihrem Frühstück samt Kaffee trug und alles hereinbrachte. »Wir würden Christien alle vermissen, ma chere maman — Paul, Marguerite, Papa und ja, sogar du.« Reine nahm Alonzo das Tablett ab und instruierte ihn bezüglich ihrer Garderobe, dann ging sie zurück zu ihrer Mutter. »Nun«, hob sie an und setzte wieder ein Lächeln auf, »möchtest du vielleicht etwas Butter zu deinem Frühstücksgebäck?«
Es war bereits später Vormittag, als Reine endlich das Zimmer ihrer Eltern verließ. Die Feldbetten und provisorischen Lager im oberen Flur waren natürlich alle verwaist, sie hatte ja schon vor mehr als zwei Stunden die Kinder draußen herumrennen gehört, und vom Schlafzimmerfenster aus, das sie geöffnet hatte, um ein wenig von der morgendlichen Kühle hereinzulassen, sah sie die muntere Schar beim unermüdlichen Spiel. Blinde Kuh und Versteckenspielen schienen ihre Lieblingsbeschäftigungen zu sein, doch Gott sei Dank hat-ten sie es auch nicht versäumt, zumindest ein paar Melonenscheiben zum Frühstück zu verdrücken.
Marguerite schien sich selbst angezogen zu haben, oder vielleicht hatten ihr auch Lisette O’Neill oder Juliette Pasquale dabei geholfen. Sie dachte, es wäre das Beste, erst einmal zu kontrollieren, ob mit ihrer Kleinen auch alles in Ordnung wäre. Sie legte die Hände an den Mund und formte ein Sprachrohr, damit ihre Stimme die der Kinder übertönen könnte, und rief nach Marguerite.
Doch sie kam nicht.
Reine war überrascht, dass sie so gar nicht reagierte, aber vielleicht lag es an der Aufregung und Freude über die neuen Spielgefährten. Noch einmal rief sie ihren Namen mit Nachdruck über die Felder und Bäume hinweg.
Noch immer keine Spur von Marguerite.
In dem Moment kam der kleine Sean O’Neill ums Haus gerannt. »Mon cher«, rief
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