Im Wirbel der Gefuehle
sie zu ihm hinunter, als er gerade unter der Galerie vorbeihuschte, »Hast du Marguerite gesehen?«
»Nein, Madame!« Er reckte sein Chorknabengesicht zu ihr hoch. »Schon länger nicht mehr.«
Kaum hatte er das gesagt, war er auch schon wieder weitergerannt und verschwand hinter der nächsten Ecke. Reine hörte das schrille Gelächter der Kinderschar rechts hinterm Haus, von dort, wo der kleine Sean wieder zu seinen Spielkameraden gestoßen war. Die Stimme ihrer Tochter war nicht dabei.
Sie machte sich Sorgen, doch sie schob dieses Gefühl sofort wieder beiseite. Wahrscheinlich spielte Sean mit den Jungs, während Marguerite irgendwo anders mit den Mädchen unterwegs war, oder aber sie schaute einer der Fechtmeisterfrauen zu, wie sie ihr Baby ver-sorgte, oder sie beobachte so ein Kleines beim Schlafen in seiner Wiege oder auch, wie es in einem der Ankleidezimmer gebadet wurde. Es könnte auch sein, dass sie sich in der Küche herumtrieb oder bei ihrem Großvater oder sogar bei Christien. Sie konnte überall sein, also gab es eigentlich keinen Grund zur Panik.
Entschlossen drehte sie sich um und ging zurück ins Haus, durch die Gänge hindurch auf die rückseitige Galerie, von wo aus sie die anderen Kinder beim Spielen sehen konnte, aber auch den Pfad im Auge hatte, der zu den Hütten der Bediensteten und den anderen Außengebäuden führte. Sie nahm jeden Einzelnen der zahlreichen Sprösslinge genau unter die Lupe, doch sie konnte Marguerites blonden Schopf nicht entdecken.
Sie rannte mit fliegenden Röcken die Stiegen hinab, verlangsamte ihren Schritt und ging durch die Eingangstür hinaus, bog um die Ecke und suchte die seitliche Veranda ab. Doch dort hatte es sich nur ihr Vater mit ein paar der männlichen Gäste bequem gemacht. Anscheinend waren die gegnerischen Sekundanten bereits da gewesen, denn sie diskutierten angeregt über die Modalitäten des bevorstehenden Duells. Für solche Sachen hatte sie jetzt keinen Kopf, nur Christien nahm sie sich vor.
»Marguerite«, sie schaute ihm tief in die Augen und keuchte vor Aufregung und Anstrengung. »Weißt du, wo sie ist?«
Er stand, ohne zu zögern, auf und trat stirnrunzelnd auf sie zu. »Ich dachte, sie wäre bei dir.«
»Nein, und ich habe sie auch nicht bei den anderen Kindern gesehen.« Sie blickt an ihm vorbei, hinüber zu ihrem Vater und den anderen Fechtmeistern, die ebenfalls aufgestanden waren. »Hat von Ihnen jemand heute Morgen meine Tochter gesehen?«
»Mach dich nicht verrückt«, erwiderte ihr Vater und legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. »Sie wird schon irgendwo sein.«
Diese einlullenden Plattitüden zerrten an ihren Nerven. Sie fragte sich urplötzlich, ob es wohl ihrer Mutter manchmal ähnlich erging, wenn er so mit ihr redete. »Bitte hilf mir, sie zu suchen«, sagte sie äußerst resolut. »Sieh dich bitte um, ob sie nicht nur irgendwo Verstecken spielt, ich werde inzwischen in der Küche nachschauen.«
Christien sagte keinen Ton, doch ein bedeutsamer Blick zu den anderen Fechtmeistern genügte, dass sie in alle Richtungen davonstoben und zu suchen begannen. Er selbst machte sich auf, um bei den Stallungen nachzusehen.
Christien mutmaßte, dass Marguerite vielleicht ihren neuen Freunden ihr Pony zeigen wollte oder die neugeborenen Kätzchen, die im hinteren Teil des Stalles ein Heim gefunden hatten. Darauf hätte sie auch selbst kommen können, dachte sich Reine, das lag aber sicherlich an ihrer momentanen Aufregung, dass sie nicht mehr klar und nüchtern denken konnte. Die Tatsache, dass Christien all das im Blick hatte, genau wusste, wie Marguerite sich normalerweise verhielt, schnürte ihr die Kehle zu. Sie ergriff die Hand ihres Vaters, die noch immer tröstend auf ihrem Arm ruhte, und drückte sie, bevor sie sich dann eilends aufmachte, um in der Küche nachzusehen.
Der Koch hatte sie nicht mehr gesehen, seit er ihr heute früh ihr pain perdu — ein Stück altes Brot in Teig getunkt, frisch ausgebacken und mit Zucker bestreut — gegeben hatte, das sie samt einer Scheibe Melone als Frühstück mitnahm.
Lisette O’Neill hatte sie heute Morgen kurz gesehen, als sie dabei war, ihr Baby zu stillen, aber dann verschwand sie wieder und sagte im Wegrennen noch etwas von den Kätzchen im Stall, die zu dieser Stunde ebenfalls gesäugt wurden.
Eines der Dienstmädchen wusste zu berichten, dass sie ihr irgendwann die Schleife an ihrer Schürze wieder zugebunden hatte, als diese sich löste.
Alonzo wiederum hatte beobachtet,
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