Im Wirbel der Gefuehle
dieser sich kaum verteidigen konnte.
Oh, aber was würde sich davon bewahrheiten? Christien hatte nie versprochen, dass er auf alles verzichten würde, nur dass er sich ein wenig zurückhielt. Er hatte sich schon reichlich in Geduld geübt, was die von ihm angestrebte Vergeltung anbelangte. Aber vielleicht hatte das für ihn auch gar keinen Vorrang. Womöglich dachte er, dass es günstiger wäre, Theodore eine tödliche oder fast tödliche Verletzung zuzufügen, um die Gefahr von Marguerite abzuwenden, damit er nicht mehr die Kraft hätte, zu ihr zurückzukehren und sie zu bedrohen.
Aber wo war Marguerite nur während des Duells? Wer konnte sie wohl gefangen halten? Wem hatte Theodore die Aufgabe übertragen, sie zu verletzen oder gar zu töten, wenn er besiegt würde? Diese Fragen schwirrten Reine im Kopf herum, und sie ließen ihr keine Ruhe, seit sie Theodores Nachricht gelesen hatte.
Soweit sie sehen konnte, gab es darauf nur eine Antwort. Es musste dieselbe Person sein, die ihn bei sich aufgenommen hatte. Der fragliche Ort konnte auch nur jener sein, der ihm selbst die ganze Zeit über die Möglichkeit bot, sich vor der Welt zu verstecken. Und wer war dieser Mensch, der Einzige, dem Theodore etwas bedeutete und der sich immer um ihn gekümmert hatte, als ob er sein eigen Fleisch und Blut gewesen wäre?
Wer, wenn nicht Demeter?
Er konnte ja wohl kaum davon ausgehen, dass sie im Zweifelsfall Marguerite etwas antun würde. Nein, noch nicht einmal auf seinen eindeutigen Befehl hin. Wenn Marguerite dafür bezahlen sollte, dass man ihm Unrecht zugefügt hatte, dann musste er schon selbst Hand anlegen.
Aber würde er seiner eigenen Tochter wehtun? Sie war so zart und unschuldig, so vertrauensselig. Allerdings hatte sie große Angst vor ihm und bezeichnete ihn als loup-garou, als ein Monster der Nacht.
Reine schwang sich aus ihrem Bett und zog sich hastig an. Mit zusammengekniffenen Lippen schnürte sie sich in ihre Reitkleidung. Sie wollte nicht einfach nur mit den Händen im Schoß dasitzen und auf den Ausgang des Duells warten, es war ihr unerträglich, dass andere über das Schicksal ihres Kindes entschieden, während sie zu Hause saß. Es sollte Zeit genug sein, solange die Männer noch dabei waren, sich zu duellieren, zu Demeters Hütte zu gelangen und wieder zurück. Zwar war es nicht möglich, den direkten Weg dorthin zu nehmen, da dieser am Ort des Zweikampfes vorbeiführte, doch es gab einen etwas längeren, der hinten herumführte. Wenn es ihr nicht gelänge, Marguerite einem so alten und schwachen Wächter zu entreißen, dann hätte sie das Recht verwirkt, sich eine Mutter zu nennen.
Schon einige Minuten später hing sie nach vorne gebeugt, den Kopf an den Hals ihrer Stute gedrückt, im Sattel und galoppierte die Auffahrt hinunter. Am Ende des Weges bog sie nach rechts ab und folgte der Straße am Fluss, die zur Plantage der Pingres und nach New Orleans führte.
Bonne Esperance war zugenagelt, gespenstisch erhob es sich über dem zugewucherten Zufahrtsweg. Die einst weiß gekalkten Außenwände waren nun schmutzig grau. Überall breitete sich Schimmel und Moder aus, die Veranda war heruntergekommen und bereits brüchig, vor der Tür lag das Laub. Reine ließ ihr Pferd in den Schritt fallen und ritt langsam vorbei, duckte sich unter einem vom Sturm angebrochenen Ast und betrachtete mit Schauder das dem Zerfall preisgegebene Anwesen. Hinter dem Haus sah alles etwas aufgeräumter aus, da das Land immer noch bewirtschaftet wurde, doch die Drainagegräben waren mit Unkraut zugewachsen, und die Tore der Stallungen hingen schief in den Scharnieren. Es lag ein bestialischer Gestank in der Luft, der von den zahlreichen provisorisch zusammengezimmerten Aborten der Arbeiter und den mit Mücken geschwängerten Wasserlachen herüberwehte. In der morgendlichen Schwüle war dieser faulige Geruch schier unerträglich.
Hinter dem Haupthaus gab es einen Gemüsegarten, der jedoch zu einem Dschungel verkommen war, in dem wilde Rosen und Nutzsträucher von kniehohem Gras überwuchert wurden. Von dort aus führte ein verschlungener Pfad in das bewaldete Niemandsland zwischen Bonne Esperance und River’s Edge. Reine saß ab und schlang die Zügel ihrer Stute um den Arm einer mit Flechten bewachsenen Marmorstatue in der hinteren Ecke des Gartens. Dann rannte sie den Pfad entlang in die Wildnis.
Die Hütte, die ehemals für die Kinder von Bonne Esperance zum Spielen erbaut worden war, lag versteckt hinter einem Zaun aus
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