Im Wirbel der Gefuehle
hielt sie abrupt inne. Plötzlich tauchte Demeter aus der Dunkelheit auf und stand wie eine Erscheinung in der offenen Zimmertür. »Du weißt, warum«, antwortete sie nach einer Schrecksekunde.
»M’sieur Theodore wird das nicht gefallen.«
Reine reckte selbstbewusst ihren Kopf und sah sie streng an. »Es ist mir egal, was ihm gefällt oder nicht. Ich bin wegen meiner Tochter hier. Du kannst mich jetzt zu ihr bringen, oder ich hole sie mir selbst.«
»Sie ist aber die Tochter von M’sieur Theodore.«
»Und er war ein so hingebungsvoller Vater in den letzten zwei Jahren, nicht wahr? Du weißt, dass er sich nicht im Mindesten um sie gekümmert hat. Hat er dir befohlen, sie zu töten, falls er vom Duell nicht zurückkäme?«
»So etwas würde er nie tun!«
»Ich kann dir den Brief zeigen, in dem er genau das androht. Tritt zur Seite, Demeter. Marguerite kommt jetzt mit mir nach Hause.«
Irgendwo im verlassen geglaubten Zimmer hörte man das Knarzen eines Bettgestells und das Klackern von hölzernen Gitterstäben. Marguerite rief verzweifelt nach ihrer Mutter.
»Maman !«
Reine dachte, sie würde nun hergelaufen kommen, doch einige Sekunden verstrichen, und sie erschien immer noch nicht. Nach und nach verstand sie, wieso. Sie konnte nicht kommen. Wahrscheinlich war sie irgendwo angebunden. In diesem Moment packte Rei-ne unendliche Wut, so wie sie es noch nie verspürt hatte.
Sie schritt energisch auf Demeter zu und wusste, dass sie diese auch wegstoßen würde, wenn sie nicht zur Seite wich.
Im letzten Moment gab Demeter den Weg frei, und Reine lief die verbleibenden Stufen hoch, die in ihr Zimmer führten.
Alles war ein einziges Chaos, ganz so, als ob hier jemand mutwillig die Sachen durcheinandergeworfen hätte, um so viel Schaden wie möglich anzurichten. Die Schranktüren hingen nur noch halb in ihren Angeln und standen offen. Die Kleider, die sie zurückgelassen hatte, Nachthemden, Umhänge und Röcke, die für die Zeit der Trauer unpassend waren, lagen herausgerissen und zerfetzt überall herum. Ihre Kosmetik- und Toilettenartikel, die einst auf ihrem Frisiertisch standen, waren alle zerbrochen, der Puder zerstäubt und das Parfüm ausgeschüttet. Vom Bett waren die Laken weggerissen worden, und das Moskitonetz hing in Fetzen von seinen metallenen Rahmen, aus den Kissen quollen die Federn, und aus der aufgeschlitzten Matratze kam die Baumwollfütterung heraus. Auf dem Fußboden lag die Waffe, mit der dieses Werk vollbracht worden war, ein Kavalleriesäbel, der einst über dem Kamin hing, direkt unter dem Porträt von Theodores Urgroßvater, der als Musketier, noch zu Zeiten des Ancien Regime, diente und stolzer Besitzer dieser Klinge war.
Reine bemerkte den Grad der Zerstörung nur am Rande, denn ihr Blick richtete sich auf das Kinderbettchen, das in der Ecke des Zimmers stand. Sie trat hastig darauf zu.
»Maman«, schrie Marguerite mit Tränen in den Augen, während sie ihre kleinen Arme flehentlich durch die Gitterstäbe des Bettchens streckte. Da sie für das Bett schon zu groß war, musste sie mit angewinkelten Beinen darin liegen. Als Reine die Tuchstreifen sah, mit denen Marguerites zarte Gelenke an die Gitterstäbe gefesselt worden waren, fluchte sie leise vor sich hin, ganz so wie Christien neulich. Auch ihre Taille war mittels einer Fessel fixiert. Reines Hände mutierten zu Klauen, als sie mit größter Empörung versuchte, ihre Tochter zu befreien. Jedoch war alles mehrfach verknotet und gab nicht nach, sodass letztendlich nur eine scharfe Klinge helfen konnte.
»Bring mir eine Schere, ein Messer, irgendetwas«, wies sie über die Schulter hinweg das Kindermädchen an. Währenddessen versuchte sie, die Fesselung an der Hüfte von Marguerite zu lockern und ihr das improvisierte Seil über die schmalen Hüften zu ziehen.
»M’sieur Theodore wird das gar nicht mögen«, nörgelte Demeter erneut. »Warten Sie doch auf ihn, Madame. Er kommt bald, ganz bald. Fragen Sie ihn zuerst. Wenn Sie ihn fragen, wird er Ihnen Marguerite schon geben.«
Sie bettelte, als ob Theodore ein Recht darauf hätte, seine Tochter von ihr fernzuhalten. Vielleicht hatte er das sogar, rein rechtlich gesehen, wer weiß. Aber kein Recht der Welt erlaubte es ihm, sie wie ein Tier an ihr Bett zu fesseln und sie gefangen zu halten. Reine drehte sich zu dem Kindermädchen um und zeigte mit dem Finger auf den am Boden liegenden Säbel. »Gib mir das da herüber, sofort!«
»Überlegen Sie doch, Madame«, insistierte
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