Im Zauber der Gefuehle
Anfang vierzig. Doch er wirkte jugendlicher und kräftiger als die meisten Männer, die halb so alt wie er waren. Er wirkte auf den ersten Blick reserviert, sah aber umwerfend gut aus und besaß eine derartig Respekt einflößende Aura, dass Lottie instinktiv in ihre Kissen zurücksank. Er war groß und schlank und verfügte über eine Mischung aus unverkennbarem Selbstbewusstsein und Vitalität, neben der die Unerfahrenheit eines Jüngeren geradezu reizlos und unbeholfen wirken musste. Seine Eleganz wäre selbst dann noch ins Auge gesprungen, wenn er einfache Bauernkleidung getragen hätte. Doch er hatte ein vornehmes Jackett mit dazu passender Hose an und eine geschickt um den hohen Kragen gebundene Krawatte aus dunkelgrauer Seide. Er ließ den Blick durch die Runde schweifen, musterte kurz Lottie und dann, etwas eingehender, Gentry, bevor er seine Frau ansah. Welch seltsame Augen er hatte ... von einem Grau, das so durchdringend strahlte, dass es Lottie an einen Blitz denken ließ, der durch die dunkle Wolkendecke fuhr.
Unerklärlicherweise sprach Sophia mit diesem außergewöhnlichen Wesen, als handele es sich um einen ganz gewöhnlichen Mann, wobei ihr Tonfall kokett war. »Da du nun hier bist, müssen wir bestimmt über etwas Langweiliges wie Politik oder die Reformbedürftigkeit des Rechtswesens sprechen.«
Lachend beugte Sir Ross sich zu ihr hinab, um sie auf die Wange zu küssen. Es wäre eine alltägliche Geste unter Eheleuten gewesen, wären seine Lippen nach dem Kuss nicht noch für den Bruchteil einer Sekunde an ihrem Gesicht verweilt, um zärtlich über ihre Haut zu streichen. Kurzzeitig schloss Sophia die Augen, als erwecke die Berührung seines Mundes unwiderstehliche Erinnerungen.
»Ich werde versuchen, amüsant zu sein«, murmelte er mit einem liebevollen Lächeln. Als er sich wieder aufrichtete, spiegelte sich das Licht in seinem ebenholzschwarzen Haar und brachte die silbernen Strähnen an seinen Schläfen zum Glänzen.
Gentrys Gesichtsausdruck wirkte steinern, als er sich erhob, um seinem Schwager die Hand zu schütteln. »Sir Grant sagte mir, dass du mit mir zu sprechen wünschst«, meinte er ohne Umschweife. »Was führst du im Schilde, Cannon?«
»Darüber sprechen wir später, zuerst einmal möchte ich deine unerschrockene junge Braut kennen lernen.«
Lottie musste über die stillschweigende Folgerung schmunzeln, die Sir Ross' Worte beinhalteten - dass eine Frau, die den berüchtigten Nick Gentry ehelichte, unerschrocken zu sein hatte. Sie machte einen Knicks, als der ehemalige Polizeichef um den Tisch herum auf sie zukam. Er nahm ihre Hand in seine großen, warmen Hände und sagte mit gewinnender Liebenswürdigkeit: »Ich darf Euch auf das Herzlichste im Schoße unserer Familie willkommen heißen, Mrs. Gentry. Seid versichert, dass Ihr lediglich ein Wort zu sagen braucht, solltet Ihr jemals in irgendeiner Form Unterstützung benötigen. Ich stehe jederzeit zu Eurer Verfügung.«
Als ihre Blicke sich trafen, spürte Lottie instinktiv, dass er meinte, was er sagte. »Vielen Dank, Sir Ross. Ich bedaure die Notwendigkeit, den Umstand, dass wir eine Familie sind, geheim halten zu müssen, da ich überaus stolz wäre, Euch und Lady Cannon meine Verwandten nennen zu dürfen.«
»Vielleicht lässt sich in dieser Hinsicht etwas machen«, meinte er mit einem rätselhaften Lächeln.
Da legte Gentry ihr den Arm um die Taille und zog sie von Sir Ross fort. »Das bezweifle ich«, erklärte Gentry seinem Schwager. »Da mich schon der Teufel holen müsste, bevor ich es gestatte, dass diese Informationen an die Öffentlichkeit gelangen.«
Rasch schritt Sophia ein. »Da es mittlerweile zu spät ist, um ein traditionelles Hochzeitsfrühstück zu veranstalten, schlage ich vor, dass wir uns zu einem Hochzeitsmittagessen an den Tisch setzen. Die Köchin bereitet Lammkoteletts, jungen Spargel und eine Auswahl an Salaten vor. Zum Dessert gibt es Ananascreme.«
»Wie wundervoll!«, rief Lottie und schloss sich ihrer Schwägerin in dem Versuch an, den Frieden zu bewahren. Sie setzte sich erneut aufs Sofa, wo sie sich die Röcke richtete. »Ich habe noch nie Spargel gegessen, wollte dieses Gemüse aber immer schon einmal kosten.«
»Noch nie Spargel gegessen?«, fragte Sophia ungläubig.
Während Lottie nach den richtigen Worten suchte, um zu erklären, weswegen ihr derartige Delikatessen unbekannt waren, ließ Gentry sich neben ihr nieder und griff erneut nach ihrer Hand. »Ich fürchte, der Speiseplan
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