Im Zeichen der Angst Roman
ist es immer gegangen. Jedenfalls ihr.«
Sie legte den Kopf in den Nacken und verfolgte eine Rauchwolke. Ich beobachtete sie. Sie hatte dieselben Raucherfalten über der Oberlippe wie meine Mutter.
Martins Schritte waren von der Kellertreppe her zu hören. Rena drehte den Kopf zur Küchentür.
Martin kam zurück, legte schweigend ein dunkelbraunes Fotoalbum auf den Tisch und setzte sich.
»Gut«, sagte Rena, sah auf das Album und dann kurz zu Martin, bevor sie mich anschaute. »Ich werde dir jetzt etwas sagen. Ich sage es nur einmal. Dann will ich weder dich noch deine Tochter jemals wieder in meinem Leben sehen.«
Ich zuckte nicht zusammen. »Okay«, sagte ich.
Auf eine seltsame Weise verstand ich sie. Ihrem Sohn war es ähnlich gegangen wie ihr. Auch er ertrug weder mich noch seine zweite Tochter, weil wir ihn stets an Johannas Tod erinnerten. Das war sein größtes Problem gewesen, und manchmal denke ich, wäre Josey ein Junge geworden, hätten wir es vielleicht doch zusammen geschafft.
»Diese Frau auf dem Friedhof, das war die Tochter deiner Mutter, nicht wahr?«, fragte Rena übergangslos.
Ich nickte. »Woher weißt du das, oder hast du nur geraten?«
»Ich hab sie schon mal gesehen. Ist eine Weile her, aber diesen Hut, den vergisst man einfach nicht.«
Ich fragte sie, wo sie sie gesehen hatte, und sie erzählte mir, dass sie Madeleine zum ersten Mal begegnet war, als sie im Januar 1989 an einem Sonntagvormittag am Bahnhof aus dem Bus stieg. Im kleinen Grenzverkehr brachte er Bundesbürger zu einem eintägigen Besuch in grenznahe Orte. Martin hätte sie, Rena, an dem Morgen zum Bahnhof gebracht, weil sie nach Schierke zur Kur gefahren war. Sie wären vorbeigefahren, als meine Mutter die fremde Frau gerade im Arm hielt und für jeden sichtbar weinte. Ein weiteres Mal hätten sie sie getroffen, als sie und Martin mit dem Rad zum Garten fuhren, auch an einem Sonntagmorgen. Marlene hätte ihr Rad neben der Fremden hergeschoben. Es wäre ihr sichtbar peinlich gewesen, dass Rena und Martin sie beide gesehen hatten. So peinlich, fuhr Rena fort und sah mich fast genüsslich an, dass sie sie sogar angerufen und gebeten hätte, bloß ihrem Mann nichts zu sagen, der wüsste nämlich nichts davon.
»Mach einen Bogen um diese Frau. Einen großen Bogen. Lass sie niemals in dein Leben treten. Hörst du? Niemals. Und hör auf, nach Meinhard Laufer zu suchen«, schloss sie ihre Erzählung.
Sie warnte mich? Ich fragte mich, was das sollte.
»Sag es ihr endlich«, sagte Martin. Seine Hände strichen über das Leder des Albums.
»Mit Meinhard Laufer«, sagte sie, »ist nicht zu spaßen. Er geht über Leichen, er ist immer über Leichen gegangen.«
Sie inhalierte tief und schaute in meine Richtung, doch ihr Blick ging durch mich hindurch.
»Ich will damit nur sagen, ich war von ihm fasziniert, aber ich wusste auch, wozu er fähig war.« Sie atmete weißen Rauch aus der Nase aus. »Ich bin ja nicht dumm.«
»Liebling«, sagte Martin, »quäl dich nicht.«
Sie beachtete Martin nicht und sprach einfach weiter. »Er konnte einen so ansehen, wenn er wütend war. Er hatte dann so eine Leere im Blick.« Sie blickte wieder zu mir, diesmal schaute sie mich an. »Seine Tochter, die auf dem Friedhof, die hat denselben Blick.«
Ich zuckte die Achseln. Ich hatte in meinem Leben mit zu vielen Leuten zu tun gehabt, die irgendwo und irgendwann in irgendjemandes Blick gesehen haben wollten, zu was er fähig war. Es war eine beliebte Floskel.
»Er hat deine Mutter vergewaltigt, wie es heute so schön heißt, aber das weißt du ja. Und ja, ich war dabei. Ich hätte niemals gewagt, etwas gegen ihn zu unternehmen. Ich hätte es früher nicht gewagt, und ich würde es auch heute nicht wagen. Es ist mir egal, was alle denken. Aber es war nicht so, wie Rauh es dir vielleicht erzählt hat. Wir waren zu dritt vom Tanzen gekommen. Sie flirtete mit ihm, weil sie immer mit allen flirtete. Er hatte getrunken und war völlig aufgedreht und wollte sie küssen. Und mich hielt er an der Hand. Verstehst du? Denn wir beide waren zusammen, und ich musste diesem widerlichen Affentheater deiner Mutter zusehen. Weißt du, wie ich mich gefühlt habe? Und sie hat gelacht. Sie hat die ganze Zeit gelacht. Er ist fuchsteufelswild geworden und hat gesagt, er wird es ihr jetzt besorgen. Da hat sie immer noch gelacht. Dann hat er die Pistole auf mich gerichtet und gesagt, er würde abdrücken und mich erschießen, wenn sie ihn nicht lässt. Selbst da hat
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