Im Zeichen der Angst Roman
Geländewagen. Aus der Entfernung konnte ich es nicht erkennen.
Ich öffnete die Handtasche, tastete nach dem kühlen Stahl der Glock und umfasste sie, jederzeit bereit, sie aus der Tasche zu ziehen, falls sich mir ein Reporter oder jemand anderes nähern sollte.
Ein paar Häuser entfernt parkte das Auto ein. Ich wartete, die Hand auf der Glock. Eine Frau stieg aus, sah kurz in meine Richtung, schloss das Auto mit der Fernbedienung und ging auf ein Haus zu.
Als sie verschwunden war, atmete ich auf und zog den Reißverschluss meiner Handtasche zu.
Ich ging durch die schmiedeiserne Gartenpforte und über den Plattenweg, auf dem meine Schuhe dunkle Spuren in der dichten Schneedecke hinterließen.
Martin öffnete auf mein Klingeln. Er hielt eine Zigarette in der Hand, an der er gierig sog, bevor er etwas hervorbrachte.
»Damit haben wir jetzt aber nicht gerechnet.«
Ich schob ihn zur Seite, und er sah mich überrascht an.
»Ich muss mit Rena sprechen«, sagte ich, »und es muss jetzt sein.«
Ich ging durch einen schmalen Korridor, den eine Lampe mit einem beigebraunen Stoffschirm nur spärlich erleuchtete. Auch hier hatte sich nichts verändert, und als ich die Küche betrat, erblickte ich dieselben beigebraunen Resopalmöbel, die ich schon aus meiner Schulzeit kannte.
Rena konnte nichts loslassen, keine Menschen, keine Möbel und nicht einmal ihre Einstellung. Wenn sich etwas in ihrem Kopf festgesetzt hatte, dann war das für die Ewigkeit.
»Du wagst dich hierher?«, fragte sie, als sie mich im Türrahmen sah, doch ihre Stimme klang hilflos.
»Wir müssen reden«, sagte ich, »und zwar jetzt. Über die Vergangenheit.«
»Wozu soll das gut sein?«, fragte Rena. »Das hat noch nie jemandem genutzt.«
»Ich muss wissen, was zwischen dir und meiner Mutter passiert ist. Cornelius Rauh hat mir erzählt, was 1947 geschehen ist. Aber er wusste nicht alles. Ich will es wissen, denn irgendetwas hat es mit dem Tod meiner Mutter zu tun. Vielleicht auch mit Joseys Entführung.«
Rena wurde blass. Sie war eine jener hageren, hoch aufgeschossenen Frauen, der das Alter jedes Gramm Fett vom Körper fraß und deren Enttäuschungen sich als verhärmte Linien in die ohnehin harten Gesichtszüge gruben. Weder der
rosa Lippenstift noch die blond gefärbte Kurzhaarfrisur konnten daran etwas ändern, und als sie jetzt die dünnen Lippen in einem Ausdruck größter Abwehr aufeinanderpresste, zogen sich die Wangen so weit nach innen, dass es schien, als hätte sie ihr Gebiss nicht eingesetzt.
Sie warf das Gläsertuch, mit dem sie gerade einen Pfannendeckel poliert hatte, achtlos auf den Herd und setzte sich an den Tisch.
Sie stützte die Arme auf und legte das Gesicht in die Hände.
Ich hörte hinter mir leise Schritte und drehte mich um. Martin stand in der Tür. Wie seine Frau war er groß und schlank, doch er strahlte die gleiche gelassene Heiterkeit und Ruhe aus, die auch Kai besessen hatte und in die ich mich verliebte, als ich ihn das erste Mal in der neunten Klasse im Gymnasium traf.
Martin schaute auf seine Frau, die noch immer das Gesicht in den Händen verbarg. Urplötzlich, als würde ein Schleier über ihn gelegt, wich jede heitere Gelassenheit von ihm und machte etwas Platz, das ihn alt und einsam aussehen ließ. Er hielt eine geöffnete Flasche Weißwein in der einen Hand, drei Gläser in der anderen. Die Zigarette glomm in seinem Mundwinkel und schickte feine Rauchschwaden in die Küche. Wie er da so stand, fragte ich mich, ob die beiden jemals eine solche Liebe wie Kai und ich erlebt hatten.
Er schenkte seiner Frau ein. Sie hob den Kopf, lehnte sich in den Stuhl zurück und trank.
»Ich kann dir nicht helfen«, sagte sie und stellte das Glas ab. »Es ist zu lange her, ich erinnere mich kaum noch an die Zeit.«
Sie machte eine Bewegung mit der Hand und sah ihren Mann an. Martin zog eine Schachtel Casino aus der Brusttasche seines Hemdes, schüttelte eine Zigarette heraus und reichte sie ihr. Sie nahm das Feuerzeug, das auf dem Tisch in einem Aschenbecher lag, und zündete sie an.
»Seit wann rauchst du wieder?«, fragte ich.
»Sie raucht nicht«, sagte Martin und gab ihr Feuer. »Es sind
nur die Nerven. Das war heute alles ein bisschen zu viel, nicht wahr, Schatz?«
Ich sah Rena an. Vorsichtig zog sie an der Zigarette.
»Rauh hat mir erzählt, dass du bei der Vergewaltigung meiner Mutter dabei warst.« Ich hatte nicht vor, sie mit Glacéhandschuhen anzufassen.
Renas Lippen formten ein O, und dann stieg
Weitere Kostenlose Bücher