Im Zeichen der Angst Roman
meine Handtasche.
Er löste meine eine Hand von dem Laptop, die andere von der Tasche. Ich ließ es widerstandslos geschehen und sah zu,
wie er die beiden Taschen zurück auf den Tisch legte. Unsere Blicke trafen sich, als er zu mir zurückkam.
»Es tut mir leid«, sagte er, als er wieder bei mir war.
Er legte die Hand in meinen Nacken, und seine Stimme klang dicht an meinem Ohr.
»Was denn?« fragte ich.
»Alles«, sagte er. »Johannas Tod, der deines Mannes, der deiner Mutter und das mit Josey. Und dass wir dabei waren und nichts dagegen tun konnten.« Ich hörte seinen mühsam beherrschten Ton, und auch ich musste mich beherrschen, nicht wieder loszuweinen.
»Ich weiß«, sagte ich leise mit einem Kloß im Hals, während meine Gedanken taten, was sie wollten. Wo bist du? Was tun sie dir gerade an? Frierst du? Bist du hungrig? Hast du geschlafen oder dich von einer Seite auf die andere gedreht? Wohin haben sie dich überhaupt gebracht?
»Es tut mir leid, dass dir niemand helfen konnte«, brach Davids Stimme in meine Verzweiflung ein.
»Du brauchst mich nicht zu trösten«, sagte ich.
»Wir waren nicht darauf vorbereitet«, erwiderte er. »Ich habe einfach nicht damit gerechnet. Nicht wirklich. Nicht auf der Beerdigung. Nicht in dieser Öffentlichkeit.«
Er umfasste mein Gesicht und hob es zu sich hinauf.
»Meine Güte, Clara. Ich bin nicht vollkommen. Niemand ist das. Aber ich kann kaum Joseys Namen denken, ohne nicht auch in einen Schacht zu stürzen.«
»Ich weiß«, wiederholte ich.
»Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, um dir zu helfen.«
»Niemand kann etwas tun, um mir zu helfen. Sie werden morgen anrufen, wir werden dann das Geld übergeben und im Austausch meine Tochter bekommen«, sagte ich und senkte den Kopf gegen den Widerstand seiner Hand.
Ich spürte, wie er seine Lippen auf meinen Scheitel presste.
»Du musst damit auf hören«, sagte er. »Ich weiß, dass du dir die
Schuld gibst an allem, was dir und deiner Familie widerfahren ist. Doch hör auf damit. Du hast immer getan, was du für das Richtige gehalten hast, und du konntest nicht wissen, dass Josey in dem Hotel nicht sicher war und deine Mutter irgendetwas mit Johannas Entführung zu tun hatte. Niemand konnte das.«
Ich biss mir auf die Lippen. Ich blieb argwöhnisch, doch zugleich begannen meine Abwehrmechanismen in sich zusammenzufallen. Ich brauchte dringend Schlaf. Ohne Schlaf riskierte ich, die falschen Entscheidungen zu treffen. Ich sah ihn an und versuchte in seinem Gesicht zu lesen. Doch auch in seinem Gesicht standen nur Erschöpfung und Müdigkeit.
»Hör mir zu, Clara«, sagte er und sah mir in die Augen. »Du bist hier sicher. Hörst du?«
Sicher, dachte ich. Was hieß schon Sicherheit?
»Hier, bei mir, kannst du loslassen«, sagte er leise an meinem Ohr mit einer verführerisch sanften Stimme. »Ich will nicht behaupten, dass ich fühle, was du fühlst. Ich kann deine Angst nicht fühlen und auch nicht deine Verzweiflung. Ich will mir auch nicht anmaßen zu verstehen, was du als Mutter gerade durchmachst. Aber ich möchte, dass du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst. Dass du dich fallen lassen kannst. Dass ich da bin und dich auffange. Immer, Clara, so lange wie du es willst oder brauchst.«
Er schwieg. Ich wusste, dass er auf eine Reaktion wartete. Ich wusste auch, was ich jetzt tun sollte: mich ihm ganz zuwenden und seinen Trost annehmen. Kurzum, er wollte, dass ich auf hörte, stark zu sein und mich zu verstecken, und dass ich auf hörte, eine Rolle zu spielen. Ich sollte meinen Schmerz loslassen, meine Verzweiflung, meine Trauer und meine Enttäuschung über das Ende meiner Liebe zu Kai. Doch was, wenn ich mich fallen ließ? Was, wenn ich mich verliebte und er nicht der war, für den ich ihn so gern halten wollte? Vor allem: Konnte man dieses berauschende Gefühl der großen Liebe überhaupt ein zweites Mal erleben?
Ich suchte fieberhaft nach einem Ausweg, nach etwas, das mir erlaubte zu gehen, ohne ihn zu verletzen. Ich fand keinen.
»Ich kann nicht«, sagte ich deshalb. »Ich kann einfach nicht«, und Tränen stiegen mir in die Augen, als hätte ich nicht schon genug geweint.
»Das weiß ich«, sagte er. »Aber versuch es zumindest. Hör auf, immer eine Einzelkämpferin sein zu wollen.«
Dann sagte ich es: »Nimm mich in die Arme.«
Ich sagte es schneller, als ich denken konnte.
Er zog mich an sich, noch dichter, und hielt mich fest mit den Armen umschlungen.
»Dauernd denke ich,
Weitere Kostenlose Bücher