Im Zeichen der Angst Roman
Uhrzeit gefunden. Es ist bereits per Kurier an uns unterwegs.«
»Vielleicht hat sie Komplizen«, sagte ich und hörte als Erwiderung von Mankiewisc nichts anderes als seinen schnaufenden Atem durch die Leitung.
»Großartig«, sagte ich. »Es könnte durchaus sein, dass sie sowohl mit Johannas als auch mit Joseys Entführung zu tun hat.« Ich sagte es ruhig, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte.
Mankiewisc schnaufte etwas lauter. »Das ist völlig absurd, denn sie hatte bei Johanna ein wasserfestes Alibi. Sie war nämlich im Urlaub, sonst hätte Renner sie ja kaum so früh aus den Ermittlungen herausgehalten, und sie hat auch diesmal ein Alibi.«
»Madeleine Lehmholz hatte ein Verhältnis mit Dr. Bruchsahl. Das besagt dieses anonyme Schreiben, das an Renner ging und das Sie ja wohl auch in den Akten haben.«
»Ja und?« Man hörte ihm seine zornige Ungeduld an.
»Sie pflegt bis heute sein Grab«, sagte ich. »Das hat Renner mir gesagt.«
»Das besagt gar nichts«, erwiderte er. »Bruchsahls Mutter hat in ihrem Testament verfügt, dass sie dafür jeden Monat vierzig Euro bekommt.«
»Frau Bruchsahl ist tot?«, fragte ich.
»Seit elf Jahren. Herzinfarkt. Ihre Madeleine Lehmholz bekam vielleicht jeden Monat Geld von Ihrer Mutter, dennoch
reichte es wohl hinten und vorne nicht, und sie musste putzen gehen.«
Ich schwieg überrascht, während mein Verstand in aller Schnelle überschlug, dass Bruchsahls Mutter schon während meiner Verhandlung mindestens siebzig war und dass ihr Tod mich nicht überraschen sollte.
»Hören Sie«, fuhr Mankiewisc fort. »Wo sind Sie?«
»Bei David Plotzer«, sagte ich nach einem kurzen Zögern.
»Warten Sie auf Stefan Lichtenberg, und tun Sie nichts ohne mein Wissen.«
»Sie können mich mal«, sagte ich und legte auf.
36
»Eines Tages wirst du mich vielleicht verleugnen«, hatte meine Mutter zu mir gesagt, als ich kaum über die Tischkante reichte.
Ich hatte erstaunt zu ihr hochgesehen, denn ich hatte keine Vorstellung von der Bedeutung des Wortes. Sie versuchte, es mir zu erklären. Ich würde einfach abstreiten, sie zu kennen, und so tun, als hätte ich sie noch nie im Leben gesehen. Ich weinte hemmungslos und klammerte mich mit beiden Händen an ihre Hüften, so bestürzt war ich, dass ich meine Mama nicht kennen sollte. Schließlich lief mir der Schleim aus der Nase, und sie beugte sich zu mir herab, putzte sie mit einem großen weißen Taschentuch und wischte mir die Tränen weg. Als sie mir danach die schützenden Arme um den schmalen Körper legte und ich den vertrauten Geruch meiner Mutter einatmete, stammelte ich aufgeregt: »Ich gebe dir mein großes Ehrenwort, dass ich dich immer kenne.«
Ich meinte es damals so und heute. Sie mag mich verletzt und verlassen haben. Sie mag übermütig und vielleicht ein »Flittchen« gewesen sein, wie Rena und Plotzer behaupteten. Doch sie war jung gewesen, eine Überlebende des Krieges.
Eine, die sich maßlos freute, am Leben zu sein, und die wissen wollte, was das Leben alles an Überraschungen bereithielt. Das waren eben nach dem Krieg keine Reisen in ferne Länder oder Joints oder die große Freiheit der so genannten Selbstverwirklichung. Das waren schlicht und ergreifend nur Jungs gewesen und das Flirten und Verführen. Es war vielleicht ihre Art gewesen, dem Leben und all seinen Möglichkeiten »Hallo« zu sagen und ein klein wenig nach Spaß und Freude, Anerkennung und Bestätigung zu suchen in einer Welt, die um sie herum immer noch in Schutt und Asche lag.
Ich hatte keine Möglichkeit, weiter darüber nachzudenken, denn es klopfte, und die Tür öffnete sich.
Ich sprang ins Bett zurück und zog mir die Decke bis zum Hals. Ich trug noch immer nur das weiße T-Shirt von David und meinen Slip. David saß am Tisch, und er blieb dort. Er trug ebenfalls ein weißes T-Shirt und seine Boxershorts.
In der Tür des Zimmers erschien ein Rollstuhl, in dem Peter Plotzer saß mit demselben gelben Schal und demselben blauen Pullover vom Vortag. Seine krampf haft gefalteten Hände lagen im Schoß, und man sah seinen angespannten Gesichtszügen an, wie sehr er sich bemühte, das verräterische Zittern unter Kontrolle zu halten. Hinter ihm stand der Butler in einem schwarzen Jackett, einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose. Er lächelte. Es schien mir, als wäre es ein professionelles Lächeln mit einer Spur Arroganz. Seine Hände lagen auf den Griffen des Rollstuhls, und zum ersten Mal bemerkte ich, dass sie
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