Im Zeichen der Angst Roman
Lachen, das von tief unten aus dem Bauch kam.
Er prophezeite mir, dass sie mich noch ein zweites Mal zusammenschlagen würden. Er sagte, ich sollte zwei Dinge tun: Die Schläge einstecken, egal, wie übel mir sein würde und wie schmerzhaft sie wären, und auf keinen Fall eine Meldung machen. Es wäre die einzige Möglichkeit, ihren Respekt zu erlangen. Und egal, wie ich darüber dachte, den brauchte ich, wenn ich die Haftstrafe halbwegs unbeschadet überstehen wollte.
Ich hielt mich daran, wie ich mich an alle Ratschläge hielt, die John mir gab. So verdanke ich ihm auch, dass ich einen Selbstverteidigungskurs besuchte. John stärkte mich mental, der Kurs machte mich körperlich fit, und bald hatte sich herumgesprochen, dass man sich mit mir besser nicht anlegte.
Doch ich erlebte in diesen sechs Jahren immer wieder, wie Frauen von anderen Frauen gedemütigt und geschlagen wurden. Ich erlebte, wie sie eine junge Prostituierte in den Selbstmord trieben und eine altersschwache Ehegattenmörderin in den Wahnsinn, so dass man sie eines Tages abholte, kotbeschmiert und geifernd.
Das Leben, so wie ich es erlebt hatte, war wie die Festplatte eines Computers. Es speicherte die Daten, es bewertete sie nicht. Es gab dabei kein »Grausam« und kein »Ungerecht«. Kein
»Glücklich« und »Unglücklich«. Das Leben registrierte nur die Fakten und wartete darauf, wie wir reagierten.
Ich starrte auf den Brief vor mir.
Ich hatte eine Schwester. Genauer eine Halbschwester, gezeugt bei einer Vergewaltigung. Ich hatte eine Mutter, die sich - wie ich selbst Jahre später - auf einen Kriegspfad begeben hatte. Das war es, was hinter der eisigen Klammer um meinen Kopf herum langsam Gestalt annahm. Man könnte annehmen, dass ich das Fortgehen meiner Mutter nun besser verstand. Doch ich verstand ihre Entscheidung noch viel weniger als zuvor. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass ein uneheliches Kind, das 1989 immerhin über vierzig Jahre alt war, der Grund dafür sein sollte, dass meine Mutter ihre Familie verlassen hatte. Es war absurd. Schließlich lebten wir auch in der DDR in einem Staat, in dem man Ende der Achtziger längst über die Einstellung hinaus war, dass vergewaltigte Frauen an ihrer Vergewaltigung selbst Schuld trugen.
Ich verstand nicht, dass sie sich nach all der Zeit, in der sie eine eigene glückliche Familie gehabt hatte, an ihrem Vergewaltiger rächen wollte. So lange konnte der Hass nicht andauern, und er war es auch nicht wert.
Es klopfte an der Tür, und ich schrak hoch.
»Alles okay?«, fragte David.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte nicht mit ihm darüber sprechen, dass ich eine Halbschwester hatte. Das musste ich zunächst einmal mit mir selbst klären.
»Das kann nicht alles sein«, sagte ich deshalb bemüht sachlich und wedelte mit dem Brief in der Luft herum. »Sie hat den Mörder von Bruchsahl gesucht. Das hat mir der Junge gesagt. Irgendwo muss sie darüber Aufzeichnungen haben.«
»Muss sie nicht«, sagte David, kam zu mir an den Schreibtisch, klappte den Laptop auf und fuhr ihn hoch. Ich beobachtete ihn. Dann fiel es mir ein.
Ich strich mit dem Finger über den Schreibtisch. Kein Staub. Ich stand auf, strich mit dem Finger ein Bücherregal entlang, das an der Wand stand.
Ich zeigte mit dem Finger zu David. »Kein Staub«, sagte ich.
Ich eilte ins Bad. Hinter mir hörte ich Davids Schritte.
Ich griff unter die Seife, die in einer Seifenablage aus weißem Porzellan lag. Sie war feucht. Ich zeigte sie ihm.
Wir gingen zurück.
»Und?«, fragte ich und sah auf den Bildschirmschoner mit dem Windows-Logo.
»Sie hat ein Passwort benutzt«, sagte David. »So kommen wir da nicht rein. Ich muss es jemandem aus der Firma geben, der sich auskennt.«
»Nimm meinen Namen, oder ihren, Marlene, gib Johanna ein«, sagte ich.
»Hab ich schon.«
»19. 8. 1964?«
»Dein Geburtstag?«
Ich nickte, er tippte.
»Nichts.«
»Dann musst du es eben mitnehmen«, sagte ich, griff mir das Telefon und schaute auf das Display. Es waren elf Anrufe verzeichnet, die sie nicht mehr gelöscht hatte. Ich klickte mich hindurch. Die Nummern waren mir unbekannt, bei manchen Anrufen war die Anzeige unterdrückt.
Es gab eine Adresskartei, meistens nur mit Vornamen. Ich blätterte sie durch. Die Namen sagten mir ebenso wenig wie die Nummern.
Ich war neugierig, mit wem meine Mutter zuletzt telefoniert hatte. Ich drückte auf die Taste für die Wahlwiederholung und lauschte dem Freizeichen. Irgendwo
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