Im Zeichen der Angst Roman
Sie doch. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land. Meine Mutter war genauso.«
Ich schaute ihn verwundert an.
»Sie haben ja tatsächlich so was wie Menschenkenntnis«, sagte ich und war mir dennoch nicht sicher, ob ich dem trauen konnte.
»Darauf können Sie wetten. Ihre Schwiegermutter will Sie auch jetzt nicht sehen. Immerhin sorgt sie sich um die Enkelin.«
Ich biss mir auf die Lippen und knüllte die Tücher fester in meinen Händen. Sie waren feucht und warm. Ich stand kurz davor, erneut die Fassung zu verlieren.
Als ich nichts sagte, fragte Mankiewisc: »Was haben Sie getan, nachdem Sie hier angekommen sind? Bitte, versuchen Sie es. Es könnte wichtig sein.«
Ich putzte mir die Nase und versuchte, mich auf das Gespräch zu konzentrieren. Ich ging die Ereignisse auf dem Friedhof noch einmal durch und erzählte, wie wir angekommen waren, die Steine auf das Grab gelegt hatten und Josey und der Junge Verstecken spielten.
»Fällt Ihnen sonst noch etwas ein? Haben Sie irgendjemanden bemerkt?«, fragte Mankiewisc. »Man hat Sie beobachtet. Jeden Ihrer Schritte. Davon müssen Sie ausgehen. Also, erinnern Sie sich bitte an jedes Detail.«
Der Mann war zu nett, zu höflich, dachte ich kurz und konzentrierte mich erneut.
»Da war noch ein Mann. Er sprach kurz mit dem Jungen, weil sein Hund an den Grabstein pinkelte.«
Mankiewisc zog einen Block aus der Jackentasche. Er blätterte ein paar Seiten um. Es war mir nie aufgefallen, dass er drei tiefschwarze Haare auf dem Handrücken hatte. Sie standen hoch wie Schweineborsten.
»Hier hab ich’s.« Er schaute von dem Block auf. »Ihre Schwiegermutter hat Ihre Tochter im Hotel als Letzte gesehen. Sie hat im Foyer mit einem kleinen Jungen mit Hund gesprochen. Dann ist Josephine in Richtung Toilette gegangen.«
Ich lehnte den Rücken an das Kopfteil des Bettes. Die Angst lag wie ein schwerer Sack auf meiner Brust.
»Kann ich hier raus?«, fragte ich abrupt. »Ich kann hier nicht untätig rumsitzen.«
»Später«, sagte David. »Du kannst jetzt nichts tun.«
Ich hatte ihn fast vergessen. Ich drehte den Kopf zu ihm. Er saß noch immer auf der Bettkante.
»Werden Sie wieder erpresst?«, fragte Mankiewisc.
Hatte er mich das wirklich gefragt? Ich stand auf, und es war mir gleichgültig, dass ich in diesem blauen Nachthemd eine lächerliche Figur abgab. Alles, was ich im Moment brauchte, war eine etwas andere Perspektive, eine normalere, nicht so hilflose, paralysierte. Vielleicht half mir das Stehen.
Ich knüllte das Papier ein letztes Mal zwischen den Händen. Dann warf ich es mit einer konzentrierten, knappen Bewegung in Richtung Papierkorb, der neben der Tür stand. Mankiewiscs Blick folgte der Flugbahn. Das Papier landete auf dem Rand, zitterte unentschlossen und fiel in den Korb.
»Gute Leistung«, sagte Mankiewisc.
»Wer hat sie Ihrer Meinung nach entführt?«, fragte ich.
»Das versuchen wir herauszufinden. Also, Frau Steinfeld. Geht es wieder um Geld? Um Erpressung? Wollen Sie es allein hinkriegen?«
In seiner Stimme schimmerte der alte Mankiewisc durch. Die letzten Sätze klangen so streitlustig, übellaunig und barsch, wie ich ihn kannte.
David schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ja«, sagte ich und schüttelte ebenfalls den Kopf, »es geht um Erpressung.« Es machte keinen Sinn mehr, Mankiewisc nicht zu informieren. Die Entführer glaubten ohnehin, ich hätte es getan.
»Was will man von Ihnen?«
Ich zuckte die Achseln. »Was wollen Erpresser schon? Sie wollen Geld. Sie wollen das Erbe meiner Mutter beziehungsweise zwei Millionen Dollar. Dieselbe Summe wie bei Johanna. Dafür tun sie alles. Sie haben mir Fotos geschickt, meine Wohnung verwüstet …« Meine Stimme klang hysterisch. Ich biss mir auf die Lippen. Ich hatte mich hinreißen lassen. Ich hatte mehr gesagt, als ich wollte. Ich war zu aufgewühlt, zu durcheinander.
Mankiewisc zog den Atem zischend ein, die dicke Ader schwoll erneut zwischen den Brauen an. Er suchte in der Jackentasche nach einem Taschentuch und betupfte sich die Stirn. Seine wässrigen blauen Augen sahen mich wütend an. Ich erwiderte seinen Blick. Ich hatte ihn auch darüber nicht informiert. Ich war schuldig, aber ich hatte kein schlechtes Gewissen. Ich hatte das Richtige getan. Mankiewisc sah es anders, und seine Selbstbeherrschung schmolz wie Eis in der Frühlingssonne.
»Sie machen mich verrückt, wissen Sie das? Diese dämlichen Journalistenallüren von Ihnen und Ihresgleichen.
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