Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
sich wohlfühlen.“
„Seid Ihr schon dort gewesen?“
„Nicht seit ich mein Amt bekleide. Es ist zu weit entfernt – über zwei Tagesritte –, und ich habe zu viele Verpflichtungen.“ Sie seufzte traurig. „Aber anscheinend habe ich jetzt eine Pflicht weniger als gestern.“ Verzweifelt schlug sie sich die Hände vors Gesicht. „Halt mich fest.“
Ihre Stimme war so kläglich, dass Marek einen Augenblick brauchte, um den Befehl darin zu verstehen. Er ging zu ihr und schloss sie in die Arme. Dabei musste er aufpassen, ihr nicht den letzten Atemzug aus den Lungen zu quetschen, wie er es jetzt mehr wollte als je zuvor.
Sie klammerte sich an ihn und begann wieder zu schluchzen. „Wenigstens ist dieses Mal jemand da, der meine Trauer teilt.“
Er fragte sich, wie echt ihre Trauer sein konnte, nachdem sie gedroht hatte, „ihr Kind“ fortzuschicken, damit Marek sich ihrem Willen beugte.
„Ich habe bisher nicht gewusst“, sagte sie, „wie sehr ich ihn brauche.“
Marek sah zum Fenster, durch das Morgenlicht hereinströmte. Wenn er näher zur Eingangstür kommen könnte …
„Lasst mich Euch etwa zu essen bringen“, sagte er. „Ihr braucht Eure Kräfte.“
„Ich habe keinen Hunger. Und die Feier heute Abend sage ich ab. Ich kann das heute nicht. Bald werden alle wissen, dass Demedor nicht wirklich mein Sohn war.“ Sie wandte sich von ihm ab. „Ich muss dem Künstler eine Nachricht schicken, dass er nicht zu kommen braucht.“ Sie ging zur Tür, aber er vertrat ihr den Weg.
„Seid Ihr sicher? Die Vorstellung hat Euch so gut gefallen.“
„Es wird mich nur an das Kind erinnern. Außerdem werden mich alle auslachen, wenn ich die Schnitzerei ausstelle. Sie werden sagen, dass man mich überlistet hat, so wie der Fuchs den Raben, und das stimmt auch.“ Sie wischte sich die Naseab und griff nach der Türklinke.
„Wartet.“
Sie drehte sich zu ihm um, überrascht, etwas wie einen Befehl von ihm zu hören.
„Schickt mich zu dem Künstler“, sagte er. „Vielleicht kann ich ihn überzeugen, Euch die Anzahlung zurückzugeben. Er hört vielleicht eher auf einen seiner eigenen Landsleute.“
Ihr Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln. „Das ist sehr lieb, aber das Geld ist mir egal. Und du gehst nirgendwohin.“
Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. „Ich verstehe nicht, Euer Ehren.“
„Ich brauche ein Kind. Du wirst es mir besorgen.“ In ihren blutunterlaufenen Augen lag ein kalter Blick. „Du wirst mein Gemach nicht verlassen, ehe ich schwanger bin.“
Er starrte sie an, sicher, sich verhört zu haben. „Ich?“ Verzweifelt dachte er nach, wie er ihr erklären könnte, wie absurd allein die Vorstellung war. „Ich bin ein Sklave. Ich würde Euch entehren.“
„Niemand wird davon erfahren. Meine Trauerzeit ist vorbei, und ich werde bald einen neuen Ehemann finden. Ich habe schon mehrere Verehrer, und jeder von ihnen würde mich morgen heiraten. Aber ich werde erst einwilligen, wenn ich mein eigenes asermonisches Kind unter dem Herzen trage, eines, das sie mir nicht wegnehmen können.“ Sie umklammerte das tränennasse Tuch. „Eines, das ich immer im Auge behalten kann und dessen Gabe ich benutzen kann, wenn es aufwächst.“
Mareks Atem ging schneller, seine Verzweiflung nahm zu. „Aber ich bin nicht aus Asermos. Ich bin Kalindonier.“
„Ihr Biester seid alle gleich.“ Auf sein Schweigen hin antwortete sie: „Sieh mich nicht so an. Nur ein Biest könnte seine Frau so bereitwillig mit einer anderen hintergehen, wie du es getan hast.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich habe es getan, um mein Kind zu retten.“
„Du hast es getan, um dich selbst zu retten. Und du wirst esweiter tun. Wenigstens musst du jetzt keine Hülle aus Schafdarm mehr tragen, wenn wir es tun. Es wird dir noch mehr Spaß machen.“ Sie entriegelte die Tür. „Die Wachen werden dich in mein Gemach bringen.“
Sie öffnete die Tür und keuchte entsetzt auf.
Der Korridor war leer.
Die Wände waren mit Blut bespritzt, und zwei Spuren führten den Korridor hinab, der zu Bashas Gemächern führte.
Mit weit aufgerissenen Augen drehte sie sich zu Marek um. Ihr Staunen wandelte sich in Angst.
„Nein …“ Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber er packte sie und hielt ihr mit der flachen Hand den Mund zu.
„Tu, was ich sage, und du bleibst am Leben“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Er zerrte sie auf den Flur hinaus in das Empfangszimmer ihrer Gemächer. Lycas
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