Im Zeichen der Krähe 2: Die Totenhüterin (German Edition)
gehabt, dass er für die Invasion verantwortlich war. Mit einem klügeren Anführer hätten wir euch besiegt.“
Sie antwortete nicht, und er hätte sich ohrfeigen können, weil er wieder die Schlacht erwähnt hatte. Damit erinnerte er Alanka nur an die Kluft, die zwischen ihnen lag. Eine Frau ihres Volkes konnte sich nie mit einem „Nachfahren“ sehen lassen, egal wie viele Beine und wie viel Magie er besaß.
Aus dem Gebüsch neben dem Pfad drang ein Rascheln, und ein Hase stob rechts von ihnen davon.
„Runter!“ Alanka drückte Filip auf den Hals des Pferdes hinab.
„Was hast du …“
Über seiner rechten Schulter pfiff ein Pfeil an ihm vorbei. Einen Augenblick später schrie der Hase auf.
Schmerz und Angst übermannten Filip. Er fasste sich an den Kopf und stöhnte.
Alanka keuchte erschrocken auf und legte ihm die Hand auf den Rücken. „Oh nein, das hatte ich vergessen. Filip, es tut mir so leid.“
Der Hase stieß ein zusammenhangloses Flehen aus, das drohte, Filip in Stücke zu reißen. „Geh – bring ihn einfach um“, sagte er. „Sofort.“
Alanka glitt ungelenk über die Hinterbeine des Pferdes hinab, aber es gelang ihr, auf den Füßen zu landen. Ihre Schritte krachten durch das Unterholz. Die Angst des Hasen flammte noch für einen Augenblick auf, doch dann war alles still. Filip setzte sich gerader hin und wischte sich über die feuchte Stirn.
Alanka kam zu ihm zurück. Hinter ihrem Rücken hielt sie den Hasen in beiden Händen.
„Es tut mir leid. Normalerweise töte ich ganz sauber, aber ich bin nicht in Übung. Seit der Schlacht habe ich keinen Pfeil mehr verschossen.“ Sie stellte sich rechts neben ihn und sah mit großen Augen zu ihm hoch. „Es war sehr schlimm, nicht?“
Er konnte nur nicken.
„Wenn wir jagen“, sagte sie, „müssen wir lernen, auszublenden, wie es für das Tier ist – sonst bekämen wir nie etwas zu essen. Und wir erweisen seinem Geist immer die letzte Ehre.“ Sie räusperte sich. „Ich muss jetzt singen. Das könnte noch schmerzhafter für dich werden als der Schrei des Hasen.“
Sie legte das Tier auf den Boden und kniete sich daneben. Dann erhob sie die Stimme zu einer klagenden Melodie, die alles andere als schmerzhaft klang. Filip schloss die Augen und hörte ihr dabei zu, wie sie Trauer und Triumph zu einem Lobgesang auf Schwester Hase verwebte, und hoffte, dass sie eines Tages auch ihn so schätzen würde.
Nachdem sie fertig war, deutete er auf einen Baumstumpf in der Nähe. „Da drüben kannst du wieder aufsteigen.“
Ungläubig sah sie ihn an. „Du willst nach alldem immer noch etwas mit mir zu tun haben?“
„Ja, das will ich.“ Er sprach leise. „Heute und auch später. Wir könnten uns wieder hier treffen. Wenn du auch willst, meine ich.“
Sie lächelte, und er war verloren.
16. KAPITEL
W as, wenn sie ein Junge geworden wäre?“
Rhia ignorierte die Partnerin ihres Bruders und konzentrierte sich ganz auf das Gesicht ihrer neugeborenen Nichte Sura, die schlafend in ihren Armen lag. Die Kleine regte sich trotz des Streits ihrer Eltern und dem Nachtwind, der am Dach von Lycas’ und Malis Haus rüttelte, nicht.
Mali sah Rhia über die Schulter. „Wenn es ein Junge geworden wäre“, fuhr die Wespe fort und blies dabei heißen Atem über Rhias Schläfe, „wäre sie in Erinnerung an Nilo getauft worden. Er war Lycas’ Zwillingsbruder. Für dich war er nur ein Halbbruder. Also, warum hat dein Sohn diesen Namen bekommen?“
„Mali, nicht schon wieder“, fuhr Lycas seine Partnerin wütend an. Gemeinsam mit einem nervös wirkenden Marek saß er am Tisch. „Wir wussten, dass es ein Mädchen wird.“
„Was, wenn das nächste Kind ein Junge wird?“, keifte Mali. „Der Name hätte aufgespart werden müssen.“ Sie warf Rhia einen düsteren Blick zu, der sie ein Jahr zuvor noch hätte erzittern lassen. Mittlerweile machte Mali ihr keine Angst mehr, allerdings befürchtete sie im Stillen, dass die Wespe Lycas das Leben zur Hölle machte.
Als wollte er diesen Verdacht bestätigen, warf er ein: „Wer sagt, dass es noch ein Kind geben wird?“
Das Gesicht seiner Partnerin wurde rot vor Wut. Viel schneller, als ihr immer noch runder Körper es gestattete, stampfte sie aus dem Haus. Sie stieß dabei mit der Hüfte gegen eine Stuhlecke und schubste Alanka fast aus dem Weg.
Lycas seufzte tief, machte aber keine Anstalten, sich zu bewegen.
„Du solltest ihr nachgehen“, sagte Marek.
„Warum?“ Die Stimme des Bärenmarders
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