Im Zeichen der Menschlichkeit
können«, meint etwa Josefa Höhne. Fast vierzig Jahre lang arbeitete die heute 75-Jährige in der Materialverwaltung der Zittauer Robur-Werke, die vor allem Nutzfahrzeuge herstellten, darunter auch Krankenwagen. Der betriebseigene Sanitätszug umfasste dreißig Mitglieder, die für rund dreitausend Mitarbeiter zuständig waren; Höhne war stellvertretende Zugführerin. Sie verarztete den Dreher, dessen Finger der Schleifmaschine zu nahe gekommen waren, den Stahlarbeiter, der sich die Hand in der Härterei verbrannt hatte, die Sekretärin, die über Kopfschmerzen klagte, den Pförtner, der bei Glatteis ausgerutscht war. »Und im Sommer«, meint sie lachend, »hab ich jeden Montag Zecken rausgeholt.« Wer von ihr behandelt wurde, bekam nicht nur ein Pflaster, sondern einen Schuss Heiterkeit und Lebensmut dazu.
Als langjährige Ausbilderin im Betrieb kann sie den Lehrstoff noch heute problemlos abrufen: Verbandskunde, Wundversorgung, Wiederbelebung, Verätzungen »und natürlich die stabile Seitenlage, die kann man nicht genug üben«. In einem Schminkkurs hat sie Tricks zur »realistischen Unfalldarstellung« bei Übungen gelernt. Ein dünnwandiger Gummiball mit roter Tinte simuliert nach Zerplatzen eine Blutung, ein hervorstechender Kaninchenknochen eine offene Fraktur. Einmal sei eine Übung derart lebensecht geraten, dass eine zufällig vorbeikommende Ärztin prompt zu Hilfe eilen wollte. Zu ihrer Zeit habe es an Engagement nie gefehlt, meint Höhne. »Wir haben immer gern mitgemacht, hatten auch nie Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu finden.« Heute bestimmten oft Desinteresse, Materialismus und Konsumismus das Bild, und wenn sie im Jugendklub für Blutspenden werbe, stelle sich kaum jemand zur Verfügung: »Da kann das Spender-Essen der Landfrauen noch so köstlich sein, viele wollen lieber Geld als Anreiz.« Eine Klage, die in West wie Ost zu hören ist: Die freiwillige Hilfsbereitschaft sei in früheren Generationen reichhaltiger vorhanden gewesen, der Zusammenhalt stärker. Die Robur-Werke existieren längst nicht mehr, doch bis heute treffen sich die Sanitätshelfer zweimal im Jahr und lassen die alten Zeiten Revue passieren.
Alte Hüte, neue Welten
In den siebziger Jahren erreicht der Sozialstaat in der Bundesrepublik seinen Zenit. Damit geht ein nachhaltiger Ausbau der Wohlfahrts- und Sozialarbeit im Roten Kreuz einher. Das Spektrum reicht von Mütterkuren bis zur Krebsnachsorge und von der Nachbarschaftshilfe bis zur Fortbildung für Arbeitslose. Teilweise knüpft man dabei an Programme aus den zwanziger Jahren an, teilweise erobert man Neuland. Der Fahrdienst für Behinderte etwa, den das Rote Kreuz als freiwilliges Angebot initiiert, gestaltet sich derart erfolgreich, dass daraus ein gesetzlich verankerter Anspruch entsteht. Als der Kreisverband Gelsenkirchen mit zwei Kleinbussen einen ersten Modellversuch startet, muss manches noch improvisiert werden. Das dritte Fahrzeug verfügt dann schon über eine hydraulische Hebebühne und bietet Platz für drei Rollstuhlfahrer und zwei Begleiter. Die bequeme Fahrgelegenheit vergrößert den Aktionsradius der Betroffenen erheblich: »Wir können nun abends auch mal ins Theater fahren, können im Revierpark die Freizeitangebote in Anspruch nehmen, können Ämter und Behörden aufsuchen«, freut sich die Sprecherin einer Selbsthilfegruppe. Etwa achtzig Behinderte nutzen den Service; dank einer Vereinbarung mit der Stadt erhalten sie rund hundert Gratisgutscheine im Jahr. Bis heute zählen diese Fahrdienste zu den festen Angeboten der Kreisverbände.
1956 hat die Bergwacht die ersten Übungen mit Hubschraubern abgehalten. In den Siebzigern sind sie aus der Bergrettung schon nicht mehr wegzudenken.
© Archiv Bergecho / DRK
Vor Deutschlands erster geriatrischer Tagesklinik in Frankfurt-Höchst hilft ein Zivildienstleistender einer alten Frau aus dem Kleinbus.
© D. Bruschewski
In der Behindertenarbeit und im Gesundheitsbereich kommen in den siebziger Jahren verstärkt Zivildienstleistende zum Einsatz sowie Helfer, die ein Freiwilliges Soziales Jahr leisten. Für beide Gruppen bieten DRK-Einrichtungen vielseitige Betätigungsfelder. Trotzdem gilt die Sozialarbeit im Roten Kreuz zu dieser Zeit noch primär als »Frauenaufgabe«, da sie überwiegend den weiblichen Mitarbeitern untersteht. Bernhard Döveling wird entsprechend skeptisch beäugt, als er 1978 den Bereich Jugend und Wohlfahrtspflege im Generalsekretariat übernimmt. »Mit Strubbelkopf, Lederjacke
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