Im Zeichen der Sechs
Fällen behilflich gewesen sind. Auch erscheinen Sie mir wie ein Mann, der sich nicht scheut, für das, was er glaubt, auch einzustehen …«
Verlegen wedelte Doyle das Kompliment beiseite. »Wo befindet sich Ihr Exemplar des Gerona Sohar jetzt, Mr. Stern?«
»Unter Schloß und Riegel im Laderaum des Schiffes. Ich habe mich heute nachmittag noch davon überzeugt.« »Und Ihr Kollege, Mr. …«
»Mr. Selig. In unserer Kabine. Wie ich schon sagte, Ruperts Sorge um unsere Sicherheit ist noch größer als die meine. Seit wir auf See sind, lehnt er es ab, nach Einbruch der Dunkelheit noch hinaus an Deck zu gehen –«
Innes ließ ein verächtliches Schnauben vernehmen – getreu der Tradition der Royal Fusiliers –, erkannte jedoch im nächsten Augenblick, wie unangebracht diese Reaktion war, und tarnte sie als Beginn eines längeren Hustenanfalls. »Muß von den Gänsefedern in meinem Kopfkissen kommen«, erklärte er.
»Vielleicht sollten wir auch mit Mr. Selig ein Wörtchen reden«, meinte Doyle, ohne sich dazu herabzulassen, Innes’ Ausbruch auch nur eines bösen Blickes zu würdigen.
Lionel Stern klopfte leise an die Tür seiner Kabine: dreimal kurz und zweimal lang. Innes war entsetzt über den Mangel an Luxus in diesem Korridor der zweiten Klasse, kam aber gleich zu dem Schluß, daß man derartige Beobachtungen in gemischter Gesellschaft am besten für sich behielt.
»Rupert? Rupert, hier ist Lionel.«
Keine Antwort. Stern sah Doyle sorgenvoll an.
»Eingeschlafen?« fragte Doyle.
Stern schüttelte den Kopf und klopfte noch einmal. »Rupert!«
Immer noch keine Antwort. Doyle legte ein Ohr an die Tür und hörte drinnen eine knarrende Bewegung, gefolgt von einem leisen Klicken.
»Ihr Schlüssel?«
»In der Kabine«, sagte Stern. »Wir waren der Meinung, daß es besser ist, nicht damit auf dem Schiff herumzuspazieren.«
Innes verdrehte die Augen.
»Wir sollten nach dem Steward läuten«, sagte Doyle. »Innes?« Mit einer Kopfbewegung bedeutete er seinem Bruder, sich darum zu kümmern.
Innes seufzte und schlenderte den Korridor hinunter, um sich auf die Suche nach einem Steward zu machen, der, wie er vermutete, hier unten bei den Ungewaschenen ein doch eher seltener Anblick sein dürfte.
Stern rüttelte an der Türklinke. »Rupert, bitte mach auf!«
»Nicht so laut, Mr. Stern. Ich bin sicher, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung.«
»Sie haben gesagt, ich soll meiner Intuition gehorchen, oder?« Er hämmerte mit der Faust an die Tür. »Rupert!«
Innes kam mit einem Steward zurück, der sich eine kurze Erklärung anhörte und dann die Kabinentür mit seinem Generalschlüssel aufschloß. Die Tür öffnete sich eine gute Handbreit und kam dann ruckartig zum Stillstand, gehalten von einer straffen Sicherheitskette.
Der Steward begann zu erläutern, daß diese Kette nur von innen abgenommen werden könne, als Doyle schon den Stiefel hob und der Tür einen machtvollen Tritt versetzte. Die Kette riß, die Tür flog auf.
Eine lange, schmale Kabine. Eine Doppelkoje, an die linke Wand genietet. Ein geschlossenes und verriegeltes Bullauge über einem Waschbecken am anderen Ende.
Rupert Selig lag auf dem kalten Stahlboden, die Beine ausgestreckt, die Arme bis in Schulterhöhe erhoben, die Fäuste geballt, Mund und Augen aufgerissen und erstarrt zu einem Ausdruck von unchristlichem Grauen, wie Doyle ihn vollkommener nie gesehen hatte.
»Bleiben Sie zurück«, sagte Doyle.
Der Steward rannte davon, um Hilfe zu holen. Stern sackte gegen die Wand; Innes hielt ihn mit einer Hand aufrecht. Doyle stieg vorsichtig durch das Schott und blieb stehen, um möglichst viele Einzelheiten des Raumes in sich aufzunehmen; in wenigen Minuten, so wußte er, würde hier ein Trubel herrschen, bei dem nichts mehr auszurichten wäre.
»Ist er tot?« flüsterte Stern.
»Fürchte ja«, sagte Innes.
Sterns Augen verdrehten sich in ihren Höhlen, und Innes ließ seine leblose Gestalt im Korridor vor der Kabine langsam auf den Boden gleiten.
Doyle kniete neben Seligs Leichnam nieder, um eine blasse Kritzelei an der Wand genauer zu betrachten. Sein Blick wanderte zu einem kleinen Erdklumpen auf den Fliesen bei der Tür. Spuren der gleichen Erde waren unter den Nägeln von Seligs rechter Hand zu sehen.
»Halte mir die anderen noch ein Weilchen aus der Kabine heraus, sei so gut, Innes«, sagte Doyle und zog ein Vergrößerungsglas aus der Tasche.
»Aber gewiß, Arthur.«
»Brav.«
ROSEBUD RESERVATION, ARIZONA Noch eine Nacht
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