Im Zeichen der Sechs
dabei zusah. Er schaute sich im Wagen unter seinen Schauspielern um – tatsächlich hatte niemand sein Leiden zur Kenntnis genommen; zur Hölle mit diesen elenden Bälgern –, und seine Oberlippe kräuselte sich voller Abscheu: Diese Klötze, diese Steine, diese schlimmer als gefühllosen Objekte – wilde Esel hatten mehr Gespür für ein Genie. Und machten sie sich je die Mühe, ihm für Leben und Unterhalt zu danken? Nein – statt dessen hieß es immer: »Bendigo, mein Zimmer ist zu klein«, »Mr. Rymer, hier ist kein heißes Wasser« und unweigerlich: »Was ist mit meinem Geld?«
Seht mich an! wollte Bendigo zum Himmel hinaufschreien: Ich leite eine Provinztournee mitten in der Wüste! Ein schrecklicher Irrtum ist vorgefallen: Ich sollte doch einer der ganz Großen auf der Bühne sein! Wenn Booth nicht meine Karriere ruiniert hätte, würden sie heute am Broadway Theater nach mir benennen!
»Schauspieler!« murmelte Rymer erbittert.
Diesem grausamen Schicksal ins Auge zu blicken, das konnte auch einen starken Mann erschüttern – und er war kein Herkules: Zwei dicke, nasse Tränen kullerten ihm verloren über die Wangen. Bendigo war immer stolz darauf gewesen, daß er aufs Stichwort weinen konnte, aber ein bißchen Übung konnte nie schaden.
Ein schimmerndes Trugbild schwamm vor seinen Augen, und er suchte Zuflucht darin: fünfundzwanzigtausend Dollar, soviel hatte er mit den vergangenen Tourneen kassiert. Er stellte sich sein Vermögen in Form von großen Goldbarren vor, die im undurchdringlichen Tresor seiner Bank in Philadelphia ruhten. Dazu die sechstausend, die er während der jetzigen Tour eingesackt hatte, und die vier, die ihm vertraglich von diesem religiösen Vorposten zugesichert waren, wo sie jetzt spielen würden, und er wäre bereit, seine triumphale Rückkehr nach New York zu inszenieren – vorher noch ein bißchen abnehmen, weniger trinken –, als Produzent, Regisseur und Star in Bendigo Rymers einmaliger Produktion des unsterblichen Meisterwerks des Barden von Stratford: Hamlet!
Bendigo hatte jeden freien Augenblick seiner zwanzig Jahre im Theaterexil damit verbracht, den verschlungenen Text des Hamlet neu zu strukturieren und zu vereinfachen, um seine Stärken besser herauszuspielen: Mehr Schwertgefecht, eine sonnigere Beziehung zu Ophelia, weniger morbide Innensicht. Und endlich war die Apotheose in Reichweite.
Wie viele hundert Male hatte er die Szene im Geiste geprobt: Die Premiere. Booth in der Mitte der ersten Reihe, vor der prachtvoll sich aufschwingenden Menschlichkeit seiner Darstellung zu einem schluchzenden Häuflein zusammengeschrumpft, fiel auf die Knie und bat Bendigo flehentlich um Vergebung für seine bösartige Dummheit, und das vor einem Publikum, das stets auch alle wichtigen Kritiker umfaßte …
Eileens fröhliches Lachen riß ihn aus seinen Tagträumen. Der Alte lachte auch.
Was konnten die beiden bloß zu lachen haben? Bendigo kochte innerlich und nahm verstohlen einen kräftigen Schluck aus seiner Reiseflasche. Irgendwie hatte ihr Interesse an dem Alten etwas Demütigendes. Es genügte, um in ihm den Wunsch zu wecken, noch einmal von vorn anzufangen und wieder mit Eileen zu schlafen – falls das je geschehen war.
Als Buckskin Frank und sein Trupp an jenem Nachmittag mit dem Sonderzug in Phoenix eintrafen, stellte er angenehm überrascht fest, daß hier der Tatort abgesperrt und großenteils intakt geblieben war. Dem Wachmann war das Genick gebrochen worden – wie ein Zweig, schlimmer als beim Aufhängen –, und ein paar Fußabdrücke, die er hinter den Baumwollballen fand, paßten zu den Spuren, die vom Gelände in Yuma weggeführt hatten: ein flacher Abdruck, kein Absatz – wie die Pantoffeln, die er an den Füßen der Kulis gesehen hatte. Außerdem hatte der Wachmann, der den Schuß auf den Mörder abgegeben hatte, ihn deutlich sehen können: Jawohl, der Mann sei unbestreitbar Chinese gewesen. Konkreter konnte der Wachmann nicht werden. Das mußte als gute Nachricht gelten.
Die schlechte Nachricht war: Frank würde den Gesuchten, wer zum Teufel das auch immer sein mochte, nicht nach Sonora hinunter verfolgen können, um dort diese Bande von Greenhorns aufzumischen, sich selbst ein bißchen Gold zu waschen, um sich dann ganz gemächlich und Tequila trinkend auf den Weg zu machen und die beste Blasnummer südlich der Grenze aufzustöbern. Womit die reellen Grenzen von Frank McQuethys verbliebenen Ambitionen schon genau umrissen waren.
Frank zündete
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