Im Zeichen der Wikinger
Daumen, andere wiederum beteten, dass sie es irgendwie schaffen möge, sicher herunterzukommen, ohne zu explodieren. Kaum einer der Augenzeugen konnte hinterher genau beschreiben, was er gesehen hatte, zu verschwommen war die Erinnerung an den unglaublichen Anblick, als das uralte Flugzeug auf die Liegewiese eingeschwebt war.
Die Kinder hinten in der Passagierkabine stimmten unterdessen die letzte Strophe an.
Der Jockel schneidt den Hafer nun
Und kommt sofort nach Haus.
Die Maschine geriet kurz ins Wackeln, als Pitt sie leicht kippte.
Dann schien sie einen Moment lang in der Luft zu hängen, ehe die großen Räder den Rasen berührten und ein-, zweimal hochfederten, bis auch das Heckrad aufsetzte. Die Leute trauten ihren Augen kaum, als sie sahen, wie die Tri-Motor nach knapp fünfzig Metern ausrollte.
Als er die auf die Maschine zustürmenden Menschenmassen sah, stellte Pitt den einzigen noch laufenden Motor ab und beobachtete, wie der Propeller langsamer wurde und schließlich waagerecht stehen blieb. Er wandte sich an Mary und wollte etwas zu ihr sagen, sie für ihre Unerschrockenheit loben und sich bei ihr bedanken. Doch er verstummte, als er ihr bleiches Gesicht sah. Er legte ihr die Finger an den Hals, tastete nach ihrem Puls. Dann ließ er die Hand herabsinken und ballte sie zur Faust.
Kelly beugte sich atemlos ins Cockpit. »Sie haben’s geschafft!«, stieß sie voller Freude aus.
»Was machen die Kinder?«, fragte Pitt mit tonloser Stimme.
»Alle unversehrt.«
Dann sah sie die Lehne von Marys Sitz, sah die nahezu gleichmäßige Reihe kleiner Löcher, die die Spandau-MGs der Fokker in die Rückseite gestanzt hatten. Kelly blieb reglos stehen und starrte Pitt erschrocken an, der langsam den Kopf schüttelte. Zunächst wollte sie nicht glauben, dass Mary, ihre langjährige Freundin, tot war, doch dann blickte sie nach unten, sah die Blutlache, die sich am Boden des Cockpits ausbreitete, und allmählich wurde die ganze bittere Wahrheit klar.
Voller Trauer, zugleich aber auch mit verständnisloser Miene, wandte sie sich an Pitt. »Wieso?«, murmelte sie geistesabwesend. »Wieso musste das geschehen? Mary hat doch niemandem etwas getan.«
Immer mehr Menschen strömten von allen Seiten herbei und betrachteten staunend das zerschossene alte Flugzeug, winkten laut schreiend dem Piloten zu. Doch Pitt nahm sie kaum wahr, hörte so gut wie keinen Ton. Er hatte das Gefühl, als werde er erdrückt, nicht von den Leuten ringsum, sondern von der Sinnlosigkeit dieser Sache. Er schaute Kelly an. »Sie ist nicht die Einzige, die der Mann in dem roten Dreidecker umgebracht hat. Der hat noch viele andere auf dem Gewissen.«
»Es ist so unsinnig«, murmelte Kelly, schlug dann die Hände vors Gesicht und schluchzte laut.
»Cerberus«, sagte Pitt so leise, dass es inmitten der Jubelrufe, die draußen ertönten, kaum zu hören war. »Irgendjemand – ich weiß noch nicht, wer – muss in den Hades und ihn stellen.«
25
Nachdem Sanitäter die Beulen und blauen Flecken behandelt hatten, die sich die Kinder beim Luftkampf mit der roten Fokker zugezogen hatten, wurden sie zu ihren Eltern und Betreuern zurückgebracht. Pitt stand neben Kelly, die tief betroffen zusah, wie der Leichnam ihrer Freundin Mary Conrow aus der Maschine gehoben wurde. Sobald die Polizei das Flugzeug mit Absperrband gesichert hatte, wurden Pitt und Kelly zu einem Polizeiwagen geleitet und zur Vernehmung ins nächstgelegene Revier gebracht.
Bevor er abgeführt wurde, ging Pitt noch einmal um die alte Ford Tri-Motor herum und war teils erstaunt, teils aber auch erschrocken, als er das ganze Ausmaß des Schadens sah, den sie genommen hatte. Und trotzdem war sie wie durch ein Wunder in der Luft geblieben, bis er sie auf der alten Schafweide mitten im Central Park heruntergebracht hatte. Er musterte den von Kugeln zerfetzten Schwanz, die schnurgerade Reihe von Löchern auf der Tragfläche, die kaputten Zylinderköpfe an den beiden Pratt & Whitney-Motoren, die immer noch qualmten und vor Hitze knisterten.
Er legte die Hand auf das Schutzblech über einem der Räder am Fahrwerk. »Danke«, murmelte er.
Danach wandte er sich an den Einsatzleiter und fragte, ob sie ihn vielleicht erst zum Wrack der Fokker fahren könnten, bevor er aufs Revier gebracht wurde. Der Polizist nickte und deutete zum nächsten Dienstwagen.
Wie ein zerbrochener Drachen wirkte die rote Fokker, die gut sechs Meter hoch in einer mächtigen Ulme hing. Etliche Feuerwehrleute, die
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