Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
der nächsten Herrentoilette entgegen, denn es drängte ihn, sich zu erleichtern. Gütiger Himmel! Das war das Problem mit neu rekrutierten Agenten. Sie gingen in ihrem Einsatz auf wie ein Rauschgift im Organismus, spielten mit dem Feuer aus Lust am riskanten Spiel und vergaßen darüber, wie schnell das dicke Ende folgte. Sich an der Gefahr zu weiden war einfach töricht. Nomuri zog den Reißverschluss wieder hoch und hatte sich vom ersten Schreck erholt. Im Nachhinein fand er, dass seine Reaktion durchaus beherrscht gewesen war. Allerdings würde er Ming zurechtweisen müssen, damit sie nicht noch einmal solchen Anwandlungen nachgeben würde.
Plötzlich ging ihm ein Licht auf und er ahnte, was sie dazu getrieben hatte. Ming war in ihn verliebt. Warum hätte sie sonst so etwas sagen sollen? Es war nicht bloß Neckerei oder Geplänkel oder gar der frivole Humor eines leichten Mädchens. Wie auch immer, sie würde am Abend bestimmt wieder auf der Matte stehen, dachte Nomuri und nahm sich vor, auf dem Weg nach Hause im Spirituosenladen Station zu machen, um eine Flasche von dem überteuerten japanischen Branntwein zu kaufen, der sich als Scotch ausgab. Wollten sich Einheimische betrinken, mussten sie mit dem Fusel aus hiesiger Produktion Vorlieb nehmen. Allein bei dem Gedanken daran schüttelte es Nomuri.
Ming hatte ihm soeben deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn liebte und bereit war, für diese Liebe sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Und das machte Nomuri mehr Angst als alles andere. Himmel , stöhnte er im Stillen, die Sache wird ernst . Wie sollte er sich jetzt verhalten? Er hatte sie verführt, zum Spitzel gemacht und für sich eingenommen, weil er jünger und zuvorkommender war als der alte Knacker, für den sie arbeitete. Okay, vielleicht war er auch im Bett ’ne tolle Nummer, was seinem Ego schmeichelte, und als Fremder in einem fremden Land musste er sich ja auch irgendwie abreagieren. Sich mit ihr zu amüsieren war außerdem sehr viel sicherer, als in eine Bar zu gehen und mit einer Hure abzuziehen. Auf gar keinen Fall aber wollte er sich auf eine ernste Affäre einlassen …
Was soll’s?, dachte er jedoch kurz darauf weniger verkniffen. Ob sie ihn liebte oder nicht – ihr Computer würde völlig unabhängig davon auch weiterhin ihre transkribierten Aufzeichnungen in die Ätherwelt entlassen …
Dazu kam es wieder kurz nach Büroschluss, und dank der elfstündigen Zeitdifferenz erreichten die Daten ihre amerikanischen Empfänger kurz nach dem Frühstück. Für Mary Pat Foley gestaltete sich ein normaler Vormittag inzwischen sehr viel weniger hektisch als früher. Weil die Jüngste groß genug war, um sich selbst am Kühlschrank zu bedienen und aus eigenem Antrieb zur Schule zu finden, konnte sie eine halbe Stunde länger im Bett bleiben. Zwanzig Jahre lang war sie als Mutter und Agentin doppelt belastet gewesen, was durchaus ausgereicht hätte, um darüber den Verstand zu verlieren, doch ihr hatte dieses Leben sogar Spaß gemacht, vor allem die Zeit in Moskau, gewissermaßen in der Höhle des Bären, dem sie schwer auf den Pelz gerückt war.
Ihr Mann dachte ähnlich. Die beiden waren das erste verheiratete Gespann, das es in Langley so weit nach oben geschafft hatte, und sie fuhren immer noch jeden Morgen gemeinsam zur Arbeit – im eigenen Auto, obwohl ihnen auch ein ›Firmenwagen‹ zugestanden hätte. Dieser war aber leider nur mit Eskorte und schwer bewaffneter Begleitung zu haben und musste für alle halbwegs ausgeschlafenen Terroristen umso interessanter erscheinen. Im eigenen Auto, das außerdem garantiert wanzenfrei war, konnten die beiden immerhin auch noch ein paar Worte miteinander wechseln.
Wie gewöhnlich stellten sie den Wagen auf dem für sie reservierten Parkplatz im Keller der Zentrale ab und fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf in den siebten Stock.
Das Personal der Nachtschicht hatte wie immer alle wichtigen Informationen auf Mrs. Foleys Schreibtisch zurechtgelegt. Doch seit einigen Tagen galt ihr Blick nicht etwa diesen Akten mit dem Vermerk ›Top Secret‹, sondern den eingegangenen E-Mails, die sie, kaum dass sie ihr Büro betreten hatte, im Computer abrief. An diesem Morgen war sie nicht enttäuscht. Sie kopierte die Datei auf ihre Festplatte, machte einen Ausdruck und ließ daraufhin die Mail spurlos von ihrem Computer verschwinden. Als sie den Ausdruck zum wiederholten Mal gelesen hatte, rief sie im Büro ihres Mannes an.
»Ja, Liebes? Hast du was für
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