Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Lichter werden nicht ausgehen und die Züge nicht still stehen, aber die Volksbefreiungsarmee wird sich mit einigen Einschränkungen abfinden müssen.« Nicht, dass das grundsätzlich schlecht ist, dachte er. Beide Männer waren sich über den Wert der Volksbefreiungsarmee im Klaren. Inzwischen diente sie, ähnlich einer großen und gut bewaffneten Polizeitruppe, mehr der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, als dass sie ein echter Garant der nationalen Sicherheit war, für die es keine Bedrohungen von außen gab.
»Das wird den Militärs gar nicht gefallen«, gab Fang zu bedenken.
»Es interessiert mich nicht besonders, ob ihnen das passt oder nicht, Fang«, entgegnete der Finanzminister. »Wir regieren ein Land, das es aus dem neunzehnten Jahrhundert herauszuführen gilt. Unsere Industrie muss wachsen, und die Menschen in unserem Land wollen ernährt und beschäftigt werden.«
Qian rutschte auf seinem Stuhl herum. »Wissen Sie noch, was Deng gesagt hat? Solange die Katze Mäuse fängt, tut es nichts zur Sache, ob sie schwarz oder weiß ist. Und kurz darauf hat Mao ihn ins Exil geschickt. Deshalb müssen wir heute zweihundert Millionen hungrige Mäuler mehr füttern, aber die einzigen zusätzlichen Geldmittel, die uns dafür zur Verfügung stehen, haben wir der schwarzen Katze zu verdanken, nicht der weißen. Wir leben in einer praxisorientierten Welt, Fang. Auch ich habe eine Mao-Bibel, aber ich habe noch nie versucht, sie zu essen.«
Die Zwänge der Bürokratie und seines Amtes ließen dem ehemaligen Eisenbahningenieur keinerlei Spielraum, ähnlich wie seinem Vorgänger, der relativ rüstig im Alter von 78 Jahren gestorben war und damit seinen Sitz im Politbüro freimachte. Mit seinen jugendlichen 66 Jahren würde Qian unbedingt lernen müssen, seine Zunge – und seine Gedanken – besser im Zaum zu halten. Das wollte Fang ihm gerade sagen, aber Qian fuhr bereits fort:
»Fang, Männer wie Sie und ich müssen ganz offen miteinander sprechen können. Wir sind keine von revolutionärem Eifer getriebenen Studenten mehr. Wir sind Männer, reich an Jahren und Erfahrung, und wir müssen die Möglichkeit haben, in aller Offenheit über Probleme zu sprechen. Wir vertun bei unseren Sitzungen zu viel Zeit damit, vor Maos Leichnam zu knien. Der Mann ist tot , Fang. Gewiss, er war ein großer Mann, und er war unserem Volk ein großer Führer, aber er war nicht Buddha oder Jesus oder wer auch immer. Er war nur ein Mensch, er hatte Ideen, und die meisten davon waren richtig, aber einige sind falsch, einige lassen sich einfach nicht in die Praxis umsetzen. Der Große Sprung-nach-vorn hat nichts gebracht, und die Kulturrevolution abgesehen davon, dass unliebsame Intellektuelle und Unruhestifter ermordet wurden, hat nur dazu geführt, dass Millionen Chinesen verhungert sind, und das kann doch nicht Sinn der Sache sein?«
»Das ist durchaus richtig, mein junger Freund, aber es ist sehr wichtig, wie Sie Ihre Ideen den anderen präsentieren«, warnte Fang seinen jüngeren Kollegen, der im Politbüro nicht stimmberechtigt war. Wenn Sie sich dabei nur etwas ungeschickt anstellen, können Sie im Handumdrehen irgendwo in der tiefsten Provinz Reissäcke zählen. Er selbst war schon ein bisschen zu alt dafür, um barfuß in die Reisfelder geschickt zu werden, selbst als Strafe für ideologische Ketzerei.
»Werden Sie mich unterstützen?«, fragte Qian.
»Ich werde es versuchen«, war die halbherzige Antwort. Er musste an diesem Tag auch Ren He Pings Fall vortragen, und das würde nicht einfach werden.
Sie hatten auf die Kapitaltransfers an Qians Ministerium gezählt. Sie mussten für Kontrakte geradestehen. Weil die Verladestationen immer schon weit im Voraus ausgebucht waren, war der Tanker, der gerade an der iranischen Küste anlegte, längst angemeldet. Er würde in weniger als einem Tag 456 000 Tonnen Rohöl laden und sofort wieder in See gehen. Seine Route würde ihn aus dem Persischen Golf in südöstlicher Richtung um die Südspitze Indiens herum führen, dann an Singapur vorbei, durch die viel befahrene Malakka-Straße und schließlich nach Norden zu dem riesigen, neu gebauten Ölterminal in Schanghai, wo seine Fracht in 30 bis 40 Stunden gelöscht werden würde, ehe er dann erneut die Rückfahrt zum Persischen Golf antrat.
Wenn kein Geld mehr da war, würden diese ununterbrochenen Fahrten und Lieferungen ein Ende nehmen, denn die Seeleute mussten ihre Heuer erhalten, die Schuldzinsen für den Tanker mussten
Weitere Kostenlose Bücher