Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
Shen die Hand. Dann ging er durch das Vorzimmer, wandte sich im Korridor nach links und machte sich auf den Weg zu den Fahrstühlen. Wieder erschien ihm der Korridor endlos, und das Geräusch seiner Absätze auf dem gefliesten Boden kam ihm ungewöhnlich laut vor. Kilmer war schon lange genug Beamter im auswärtigen Dienst, um zu wissen, dass Shens Reaktion auf die Mitteilung eigentlich wütender hätte ausfallen müssen. Stattdessen hatte er sie aufgenommen wie die Einladung zu einem zwanglosen Abendessen in der Botschaft. Das bedeutete irgendetwas, aber Kilmer war nicht sicher, was. Als er in seinem Wagen saß, begann er bereits, im Geiste die Depesche für Foggy Bottom zu entwerfen, doch schnell wurde ihm bewusst, dass er seinen Bericht besser zuerst mündlich über das abhörsichere Telefon durchgab.
»Wie gut ist er, Carl?«, fragte Adler den Botschafter.
»Er ist ein prima Kerl, Scott. Hat ein fotografisches Gedächtnis – das würde ich mir auch manchmal wünschen. Vielleicht ist er ein bisschen rasch befördert worden, aber er besitzt die nötige Intelligenz, nur noch nicht genug praktische Erfahrung. Ich schätze, in ungefähr drei Jahren wird er so weit sein, eine Botschaft leiten und richtig Karriere machen zu können.«
Ja, genau, wahrscheinlich an einem Ort wie Lesotho , dachte der Außenminister. An irgendeinem Ort, für den die Bezeichnung tiefste Provinz noch ein Kompliment darstellte. Na ja, irgendwo musste man anfangen. »Wie wird Shen reagieren?«
»Kommt darauf an. Wenn sie die Truppen nur für eine Routineübung in Stellung bringen, könnten sie ein wenig verärgert sein. Falls es ernst ist und wir sie ertappt haben, werden sie verletzt und überrascht tun.« Hitch unterbrach sich, um zu gähnen. »Verzeihung. Die wirkliche Frage ist, ob sie es sich dann noch einmal überlegen.«
»Und? Sie kennen doch die meisten von ihnen.«
»Ich weiß es nicht«, gab Hitch unbehaglich zu. »Sicher, ich habe eine Weile lang dort gelebt, aber ich kann nicht behaupten, dass ich sie voll und ganz verstehe. Sie fällen Entscheidungen aufgrund politischer Überlegungen, die Amerikaner nur mit Mühe begreifen.«
»Der Präsident nennt sie nur ›Klingonen‹«, teilte Adler dem Botschafter mit.
Hitch lächelte. »Ganz so weit würde ich nicht gehen, aber diese Bemerkung hat eine gewisse Logik.« Plötzlich summte Adlers Sprechanlage.
»Anruf von William Kilmer aus Peking auf der abhörsicheren Leitung, Herr Außenminister«, ertönte die Stimme der Sekretärin.
»Hier ist Scott Adler. Botschafter Hitch ist ebenfalls anwesend. Wir hören Sie über Lautsprecher.«
»Zustellung ausgeführt, Sir. Minister Shen hat kaum mit der Wimper gezuckt. Er kündigte an, er würde sich bald mit uns in Verbindung setzen, sagte aber nicht exakt, wann. Er will mit seinen Kollegen vom Politbüro sprechen. Davon abgesehen so gut wie keine Reaktion. Ich kann Ihnen in etwa einer halben Stunde das Protokoll faxen. Das Treffen hat kaum zehn Minuten gedauert.«
Adler warf einen Blick zu Hitch hinüber, der den Kopf schüttelte und nicht besonders glücklich aussah.
»Bill, wie war seine Körpersprache?«, fragte Hitch.
»Als stünde er unter Drogen, Carl. Überhaupt keine physische Reaktion.«
»Shen neigt zu Hyperaktivität«, erklärte Hitch. »Manchmal macht es ihm Mühe, stillzusitzen. Schlussfolgerung, Bill?«
»Ich bin beunruhigt«, entgegnete Kilmer sofort. »Ich glaube, wir haben hier ein Problem.«
»Danke, Mr. Kilmer. Schicken Sie uns das Fax so schnell wie möglich.« Adler legte auf und sah seinen Gast an. »Verdammt.«
»Kann man wohl sagen. Wann werden wir erfahren, wie sie reagieren?«
»Morgen früh, hoffe ich. Wir ...«
»Wir haben eine Quelle in ihren Regierungskreisen?«, erkundigte sich Hitch. Der leere Blick, den er zur Antwort bekam, war vollkommen ausreichend.
»Danke, Scott«, sagte Ryan und legte auf. Er saß im Oval Office in seinem maßgearbeiteten Drehstuhl, der so viel Komfort bot, wie es einer Schöpfung aus Menschenhand nur möglich war. Das half Ryan im Augenblick zwar nicht viel, aber wenigstens musste er sich nicht auch noch über Rückenschmerzen Gedanken machen.
»Und nun?«
»Und nun warten wir darauf, ob SORGE uns etwas zu berichten hat.«
»SORGE?«, warf Weaver fragend ein.
»Dr. Weaver, wir verfügen über eine vertrauliche Quelle, die uns ab und zu Informationen darüber liefert, wie man im Politbüro denkt«, klärte Ed Foley den Wissenschaftler auf. »Und diese
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