Im Zeichen des Drachen: Thriller (German Edition)
vielleicht auch gut für ihn.
Seine Wohnung lag über Eck im ersten Obergeschoss eines Apartmenthauses. Sie war fast 100 Quadratmeter groß und aller Wahrscheinlichkeit frei von Wanzen. Zumindest hatte er beim Einzug keine Mikros entdeckt, als er seine Bilder aufgehängt hatte und mit dem Sensor durch die Zimmer gegangen war. Das Telefon war bestimmt angezapft, doch das bedeutete nicht unbedingt, dass seine Gespräche auch regelmäßig abgehört wurden. Das MSS war auch nur eine Behörde, und Mitarbeiter von Behörden waren wohl überall auf der Welt gleich: träge, schlecht bezahlt und unmotiviert. Wahrscheinlich verbrachten sie die meiste Zeit damit, Zigaretten zu rauchen und Däumchen zu drehen.
Seine Wohnungstür hatte ein Sicherheitsschloss der Firma Yale mit einer nicht zu knackenden Zuhaltung und fester Verriegelung. Darauf angesprochen, würde er sagen, dass er als NEC-Vertreter in Kalifornien gelebt habe und mehrmals ausgeraubt worden sei – die Amerikaner seien ja überhaupt schrecklich unzivilisiert und kriminell – und dass er sich davor in Zukunft zu schützen versuche.
»Das wäre also die Wohnung eines Kapitalisten«, bemerkte Ming und sah sich um. Die Wände hingen voller Poster, hauptsächlich mit Motiven aus Kinofilmen.
»Nun, es ist die Wohnung eines Gehaltsempfängers. Ich weiß gar nicht, ob ich Kapitalist bin oder nicht, Genossin Ming«, antwortete er lächelnd und hob dabei eine der Augenbrauen. »Nehmen Sie doch bitte Platz. Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
»Vielleicht noch ein Glas Wein?«, schlug sie selbst vor und blickte auf die eingepackte Schachtel, die auf dem Sessel gegenüber der Couch lag.
Nomuri schmunzelte. »Gern.« Er ging in die Küche, wo er eine Flasche kalifornischen Chardonnay aus dem Kühlschrank holte und entkorkte. Er kehrte mit dem Wein und zwei Gläsern ins Wohnzimmer zurück. »Oh«, sagte er dann. »Ja, das ist für Sie.« Und er reichte ihr die in hübsches – rotes – Geschenkpapier eingeschlagene Schachtel.
»Darf ich aufmachen?«
»Natürlich.« Nomuri setzte ein galant-frivoles Lächeln auf. »Vielleicht würden Sie sich lieber … nun …«
»Sie meinen: ins Schlafzimmer zurückziehen?«
»Nun, es könnte ja sein, dass Sie ungestört sein möchten, wenn Sie es aufmachen. Bitte verzeihen Sie, wenn ich allzu direkt klinge.«
Die Heiterkeit in ihren Augen sagte alles. Ming nahm einen kräftigen Schluck Wein, ging ins Schlafzimmer und zog die Tür hinter sich zu. Nomuri nippte an seinem Glas und setzte sich abwartend auf die Couch. Es war nicht ausgeschlossen, dass sie ihm die Schachtel an den Kopf werfen und davonstürmen würde … aber doch sehr unwahrscheinlich, dachte er. Eher war anzunehmen, dass Ming, falls sie ihn für zu nassforsch hielt, das Geschenk an sich nehmen, den Wein austrinken, noch ein bisschen Konversation betreiben und dann, nach ungefähr einer halben Stunde, nach Hause gehen würde – alles ganz höflich und gesittet, also nicht anders, als hätte er sie gar nicht beleidigt. Und Nomuri würde nach einem anderen Rekruten Ausschau halten müssen. Nein, das Beste wäre, wenn …
… die Tür ging auf, und da stand sie mit verschmitztem Lächeln. Der Einheitsanzug war verschwunden. Stattdessen trug sie den Bikini mit dem orangeroten Oberteil, das vorn zu schließen war. Sie hob das Weinglas wie zum Gruß, und es schien, dass sie zwischenzeitlich noch einen Schluck genommen hatte, vielleicht um sich Mut anzutrinken … oder Hemmungen abzulegen.
Nomuri wurde plötzlich ängstlich. Auch er nahm noch einen Schluck, stand dann auf und ging zögerlich auf sie zu.
Aus der Nähe sah er, dass auch sie Unsicherheit verriet, und er hoffte, dass sie ihm seine Unsicherheit ebenfalls anmerkte. Frauen hatten es ja gern, wenn Männer sich verletzlich zeigten. Auch John Wayne hätte noch viel mehr Erfolg bei Frauen haben können, dachte Nomuri. Dann lächelte er.
»Die Größe scheint zu stimmen.«
»Ja, es fühlt sich wunderbar an, wie eine zweite Haut, so glatt und seidig.« Das hat offenbar jede Frau, dachte Nomuri: die Fähigkeit zu lächeln und unabhängig vom Äußeren die Frau im Innern zu zeigen, die fast immer perfekt zu sein schien, zärtlich und leidenschaftlich, ernst und kokett. Und man brauchte als Mann nur …
Er streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht, so sanft, wie es sein leichtes Zittern erlaubte. Was zum Teufel ist nur los, dass ich zittere, dachte er. Die Hände eines James Bond zitterten nie. Es war
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