Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
dahintersteckte.
Er hatte Malvens Nähe gespürt, und nun sah er ihn mit eigenen Augen.
Sein ehemaliger Ordensbruder sah schrecklich aus. Er war über und über mit blutigen Kratzern bedeckt. Seine Kleidung hing ihm in Fetzen vom Körper, und selbst die frischen Verbände hatten sich bereits wieder mit Blut vollgesogen. Ranulf trat lautlos näher und zog schweigend einen Stuhl heran. Er war sich nicht sicher, was er fühlte.
Vor ihm lag der Mann, der ihn nun seit mehr als vier Jahren wie ein Tier jagte, und doch war er nicht im Stande, ihn zu hassen. Alles, was er spürte, war das Gefühl eines bitteren Verlustes.
„Wenn du klug bist, tötest du mich.“
Ranulf begegnete Malvens stechendem Blick und lächelte freudlos. „In letzter Zeit werde ich verdammt oft der Dummheit bezichtigt, mein Freund.“
Malven schüttelte verächtlich den Kopf. „Dann hast du deinen Tod selbst besiegelt, denn ich werde nicht zögern.“
„Ich weiß.“ Ranulf atmete tief ein und aus. So viele Nächte hatte er wach gelegen und sich überlegt, was er Malven bei einem Zusammentreffen sagen würde. Es gab so vieles, was er ihm vorzuwerfen hatte. So vieles, was er nicht verstand. All die Jahre hatte er sich von seinem Freund verlassen und verraten gefühlt...
Nun hatte er die Möglichkeit, ihm all dies zu sagen, doch plötzlich schien nur noch eine einzige Frage wirklich wichtig zu sein. „Sag mir nur eines. Tötest du mich, weil der Großmeister es befohlen hat, oder weil du seinen Anschuldigungen glaubst?“
„Spielt das eine Rolle?“
„Für mich ja.“
Malven schwieg lange.
Als Ranulf schon glaubte, keine Antwort mehr zu bekommen, erhob er die Stimme. „Du und dein Begriff von Ehre waren mir schon immer ein Rätsel. Ich wusste nie, was in deinem Kopf vorgeht.“ Er zögerte, bevor er Ranulfs Frage beantwortete. „Ich weiß nicht, was in jener Nacht vorgefallen ist, aber die Geschichte mit dem Diebstahl habe ich nie geglaubt. Das Einzige, was für mich zählt, ist dein Verrat an unserer Bruderschaft. Deinetwegen sind elf unserer besten Krieger gestorben, und dafür wirst auch du sterben.“
Ranulf wusste, dass Malven keine Erklärung von ihm wollte und dass er auch keine akzeptieren würde. Bei ihm gab es nur Schwarz oder Weiß, doch niemals irgendwelche Grautöne dazwischen. Die Ordensbrüder waren tot, und Ranulf war in seinen Augen dafür verantwortlich. Mehr wollte Malven gar nicht wissen. Ranulf nickte schweigend, erhob sich und ging zur Tür, als Malvens Stimme ihn innehalten ließ. „Er hat sie geschlagen.“
Ranulf drehte sich fragend zu ihm um.
„Der, den sie Greystone nennen. Er hat das Mädchen geschlagen.“
Ranulf nickte ruckartig und versuchte seinen Zorn zu verbergen. Das würde ihm dieses Ungeheuer büßen.
„Sie ist dir sehr ähnlich. Das ist mir gleich aufgefallen.“
„Was soll das heißen?“
Malven schüttelte langsam den Kopf. „Keine Sorge, sie ist in Sicherheit. Du hast ihr nichts von mir erzählt.“
Kapitel 26
„Ist es wahr?“ Valandra stand nur in ihr Nachthemd gehüllt und mit nackten Füßen in der Tür zu Ranulfs Kammer. Sie zitterte am ganzen Körper, und in ihren Augen spiegelte sich das reine Entsetzen. Ihr ganzes Wesen schien ihn anzuflehen, er möge ihre Frage verneinen.
„Bitte, du musst es mir sagen!“
Ranulf saß mit nacktem Oberkörper in einem Sessel vor dem Kamin und starrte in die Flammen. Sein Kiefer spannte sich. Musste sie ihre Enttäuschung so offen zeigen? „Ja. Lord Stafford ist Hals über Kopf abgereist. Offensichtlich ist ihm eine Frau nicht geheuer, die den Mut aufbringt, einen Bären zu erledigen.“ Bei Lord Greystone hatte es etwas Überzeugungskraft gekostet, um ihn zur Abreise zu bewegen. Ranulf blickte auf seine aufgescheuerten Fingerknöchel. Aber die hatte er ihm gern angedeihen lassen.
„Nicht das!“, rief Valandra schrill. Was kümmerten sie diese Weichlinge? Alles, was ihr wichtig war, war Ranulf.
Sie durchquerte das Zimmer und blieb vor ihm stehen.
„Der Verletzte... stellt er eine Gefahr für dich dar? Habe ich wirklich deinen Tod ins Haus gebracht, wie Kasim mich beschuldigt?“
Ranulf schaute erstaunt zu ihr auf. Sie war seinetwegen so außer sich? Er stellte seinen Weinkelch auf das Beistelltischchen. „Kasim hat kein Recht, dir deshalb Vorwürfe zu machen. Du konntest es nicht wissen.“
Valandra gab einen erstickten Laut von sich. „Dann ist es also wahr!“
Ihr war plötzlich schrecklich übel. O nein, was hatte sie
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