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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Schwächen, nicht wahr?«
    »Deshalb hast du sie alle umgebracht?«
    »Wen meinst du?«
    »Die Mitglieder der Tabula Rasa.«
    »Nein, noch nicht. Aber ich knöpfe sie mir vor, einen nach dem anderen.«
    »Zu spät. Sie sind bereits tot.«
    Dieser Hinweis verschlug Dowd fünfzehn Sekunden lang die Sprache. Als er sich von der Überraschung erholte, platzten die Worte aus ihm heraus; er schien bestrebt zu sein, damit die Stille zu füllen.
    »Schuld ist die verdammte Säuberungsaktion - damit haben sie sich zu viele Feinde gemacht. Ich schätze, in den nächsten Tagen kriechen viele kleine Maestros aus ihren Verstecken.
    Diesmal hat's der Jahrestag wirklich in sich, nicht wahr? Ich 977

    kippe mir einen hinter die Binde. Was ist mir dir? Auf welche Weise willst du feiern? Allein oder mit Freunden? Jene Frau, die du gefunden hast... Was hält sie von Partys?«
    Plötzlich bedauerte es Judith, die Göttin erwähnt zu haben.
    »Wer ist sie?« fragte Dowd. »Sag jetzt bloß nicht, daß Clara eine Schwester hat.« Er kicherte. »Entschuldigung. Ich sollte nicht darüber lachen, aber sie war vollkommen ausgerastet.
    Außer mir versteht dich niemand, Kindchen. Und ich verstehe dich, weil...«
    »Weil wir uns gleichen.«
    »Genau. Wir gehören jetzt niemandem mehr. Von jetzt an bestimmen wir selbst über unser Leben. Wir tun und lassen, was uns gefällt, und die Konsequenzen sind uns völlig gleich.«
    »Das soll Freiheit sein?« fragte Judith. Sie wandte den Blick von Oscar ab und sah Dowd an.
    »Behaupte nur nicht, daß so etwas keinen Reiz auf dich ausübt«, entgegnete er. »Ich habe nicht nur mich befreit, sondern auch dich. Nun, es wäre sicher vermessen, dafür Liebe von dir zu erwarten, ich weiß, aber gib wenigstens zu, daß ich richtig gehandelt habe.«
    »Warum hast du ihn nicht schon vor Jahren umgebracht, im Bett?«
    »Weil ich nicht stark genug war. Oh, natürlich, derzeit bin ich alles andere als ein Musterbeispiel für Gesundheit, und ich strotze nicht gerade vor Kraft, doch seit unserer letzten Begegnung habe ich mich verändert. Ich bin in der Tiefe gewesen, bei den Toten. Das war eine sehr... lehrreiche Erfahrung. Und während ich in der Welt aus Knochen und Verwesung weilte, begann es zu regnen. Es fielen harte Tropfen, Kindchen, von einer ganz besonderen Art. Möchtest du sehen, was auf mich herabfiel?«
    Dowd trat vor und hielt Hand und Unterarm ins Licht, woraufhin Judith den Grund für sein seltsames Erscheinungsbild sah. Der Arm - vermutlich der ganze Körper 978

    - stellte sich als ein Durcheinander aus Fleisch und Steinen heraus, die in Wunden steckten und sie verschlossen. Die Beobachterin erkannte sofort das seltsame Schimmern wieder, das von den Fragmenten ausging und hier und dort auch die Haut erfaßte. Der Regen hatte aus den Splittern des Zapfens bestanden.
    »Du weißt, was das hier ist, stimmt's?«
    Sie verabscheute die Mühelosigkeit, mit der Dowd ihren Gesichtsausdruck deutete - es war sinnlos, etwas Offensichtliches zu leugnen.
    »Ja«, bestätigte sie. »Ich befand mich im Turm, als es begann.«
    »Ein ganz besonderes Geschenk des Himmels, nicht wahr?
    Durch das zusätzliche Gewicht werde ich recht langsam, aber von jetzt an bin ich kein Mädchen für alles mehr, das dauernd jemandem zu Diensten sein muß. Was soll's, wenn ich eine halbe Stunde brauche, um ein Zimmer zu durchqueren? Macht wohnt in mir, Kindchen. Und ich habe nichts dagegen, sie zu teilen...«
    Er unterbrach sich und zog den Arm aus dem Licht.
    »Was war das?«
    Bis eben hatte Judith nichts gehört, aber jetzt vernahm sie etwas: ein dumpfes Grollen in der Tiefe.
    »Was hast du dort unten gemacht? Du bist doch nicht etwa damit beschäftigt gewesen, die Bibliothek zu zerstören, oder?
    Diesen Spaß wollte ich mir selbst gönnen. Ach, wir haben Dutzende von Möglichkeiten, uns barbarisch zu benehmen. Es liegt praktisch in der Luft. Was meinst du?«
    Judiths Gedanken weilten bei Celestine. Dowd war durchaus fähig, ihr ein Leid zuzufügen, woraus folgte: Sie mußte in den Keller zurück und die Göttin warnen, damit sie sich verteidigen konnte. Und ich muß vermeiden, daß Dowd argwöhnisch wird.
    »Wohin gehst du, wenn dies alles vorbei ist?« fragte Jude und versuchte, freundlich zu klingen.
    979

    »Ich schätze, ich kehre zur Regent's Park Road zurück. Dort schlafen wir im Bett unseres verstorbenen Herrn. Oh, was sage ich da? Bitte glaub nicht, daß ich deinen Körper will. Der Rest der Welt ist davon überzeugt, daß

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