Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
verliebte sich nicht auf Anhieb in die Hamburgerin, sie war nicht unbedingt eine Schönheit. Aber ihm gefiel ihre energische Art. Sie war anders als die Mädchen in der Heide, moderner und selbstbewusster.
Auch nach dem Ernteeinsatz kam Grete wieder nach Nordergellersen. Sie hatte für sich beschlossen, dass ein Bauer das Beste war, was ihr in diesen harten Zeiten passieren konnte. Der Krieg fand vorerst woanders statt, und genug zu essen gab es auch.
1942 wurde geheiratet, Grete war gerade achtzehn Jahre alt. Von ihrer jüngeren Schwester Marie, die nun allein bei einer Tante in Hammerbrook lebte, hatte sie nie etwas erzählt. Der Vater der Mädchen war an der Westfront gefallen, die Mutter früh gestorben.
Grete war nicht unbedingt gewissenlos, aber sie fand, sie müsse in erster Linie an sich selbst denken. Mit Marie hatte sie sich sowieso nie besonders gut verstanden. Ihre kleine Schwester würde schon durchkommen. Und sie hatte ja noch die Tante.
An einem heißen Tag im August 1943 jedoch stand Marie plötzlich im Hof. Sie war vor den Luftangriffen auf Hamburg geflohen. Und sie hatte den Feuersturm wie durch ein Wunder überlebt. Die Tante nicht.
Nun suchte Marie Zuflucht bei ihrer Schwester. Wohin hätte sie auch sonst gehen sollen?
Selbstverständlich wurde sie aufgenommen, selbstverständlich entwickelte Hermann Beschützerinstinkte für seine sechzehnjährige Schwägerin. Mit den Jahren entwickelte er auch andere Gefühle für sie, wollte diese jedoch lange nicht wahrhaben.
Erst nach Kriegsende gestand er sich ein, dass er sich in die hübsche, sanfte Marie verliebt hatte. Doch er behielt seine Gefühle für sich, obwohl er spürte, dass auch Marie ihn heimlich liebte.
Hermann Lüttjens war ein Ehrenmann. Er hatte Grete geheiratet, und er würde mit ihr eine Familie gründen. Allein, Grete wurde nicht schwanger. Auch Jahre später nicht, als die Zeiten längst besser waren und überall im Dorf wieder Babys auf die Welt kamen.
Hermann Lüttjens reparierte das alte Storchennest auf dem Dachfirst, wo zuletzt lange vor dem Krieg ein Storchenpaar genistet hatte, und er wartete. Doch die Glücksbringer kamen nicht zurück, und in der Familie Lüttjens blieb der Kindersegen aus.
Es geschah im Frühjahr 1951. Einmal, nur ein einziges Mal gaben Hermann und Marie ihrer Sehnsucht nach. Am nächsten Tag traf ein Storchenpaar ein und blieb den ganzen Sommer lang.
Für Hermann war dies ein Zeichen. Und als Marie ihm unter Tränen gestand, schwanger zu sein, traf er eine Entscheidung: Dieses Kind der Liebe sollte in seinem Haus willkommen sein.
Grete, die seit Jahren vergeblich auf Nachwuchs gehofft hatte, tobte vor Zorn. Ihre kleine Schwester, die sich bei ihr eingenistet hatte, wagte es, ein Kind von ihrem Mann zu bekommen. Sie würde …
»Gar nichts wirst du!«, hatte Hermann kategorisch erklärt. »Wir brauchen einen Erben für den Hof.«
Natürlich durfte niemand davon wissen. Die Fünfzigerjahre waren gerade erst angebrochen; in Nordergellersen galt schon eine Frau, die auf dem Schützenfest roten Lippenstift trug, als skandalumwitterte zwielichtige Person. Die Lüttjens, so beschloss Hermann, würden ihren guten Ruf nicht verlieren.
Also wurde eine Strategie ersonnen, und Grete musste zähneknirschend mitspielen.
Marie wurde nach Bayern geschickt. Angeblich zur Erholung. In Wahrheit, um ein paar Monate später weit weg von Nordergellersen das Kind zu gebären. Grete täuschte in der Zwischenzeit mit eingenähten Kissen eine fortschreitende Schwangerschaft vor. Hermann holte schließlich Marie und den neugeborenen Olaf nach Hause. Ein paar Tage lang kapselten sich die Lüttjens von den Nachbarn ab, und zu guter Letzt präsentierte Grete »ihren« Sohn.
Als Paul geendet hatte, saß ich noch lange wie versteinert auf meinem Stuhl und versuchte zu verarbeiten, was ich da gerade gehört hatte.
»Wer …« Meine Stimme war so rau, als gehörte sie nicht zu mir, sondern zu einem Kette rauchenden uralten Mann. »Wer weiß sonst noch davon?«
Paul schien mit einiger Mühe aus der Vergangenheit zurückzukehren. Dann sagte er: »Nur Ihre Großmutter und Ihre Großtante. Und nun Sie.«
»Und ich!«, rief Jan und platzte ins Büro.
»Du hast gelauscht«, krächzte ich.
»Zum Glück. Sonst hätte ich nie von Opas Lotterleben erfahren!«
»Jan!«
»Herr Lüttjens!«
»Ist doch wahr! Vor uns hat er immer den Moralapostel gegeben, und ich habe mich so viele Jahre geschämt, weil ich … äh … ein bisschen
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