Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
klingelte immer noch. Eigentlich viel zu nah an meinem Kopf. Unser grünes Telefon hatte immer in der Diele gestanden. Inzwischen besaß die Familie Lüttjens zwei schnurlose Geräte, die nicht nur ständig verloren gingen, worüber sich Papa maßlos aufregen konnte, sondern auch ganz anders klangen.
Endlich wurde ich einigermaßen wach und griff nach meinem Blackberry.
»Moin, Kröte!« schallte es mir entgegen.
Nicht auszuhalten, so eine muntere Stimme.
»Musst du so schreien? Ich schlafe noch.«
Jan lachte. »Jetzt kannst du aber mal langsam wieder zu dir kommen. Oder willst du etwa bis Freitag durchschlafen und dem ganzen Stress mit der Beerdigung von Opas leerer Urne aus dem Weg gehen?«
Gute Idee, dachte ich. Warum war ich selbst noch nicht darauf gekommen?
»Mache ich glatt.«
»Sehr witzig«, sagte Jan. »Aber nun ist mal gut. Es ist ein Uhr mittags.«
Ein Uhr mittags?
Ausgeschlossen.
Ich schaute auf die riesige Wanduhr von Ikea, die ich vor Urzeiten mal schick gefunden hatte. Rund, weiß, mit fetten schwarzen Zeigern und Zahlen. Hätte auch gut in die Küche eines Schlachters gepasst, dachte ich inzwischen.
Ein Uhr, wirklich wahr.
Ich gähnte herzhaft. Wann war ich zuletzt so lange im Bett geblieben? Ich konnte mich nicht erinnern. Allen Problemen zum Trotz schien mir die Heimatluft gutzutun.
»Wir haben beschlossen, dich schlafen zu lassen«, erklärte Jan unnötigerweise.
»Danke.« So viel Rücksichtnahme war selten bei den Lüttjens. Ich wusste es zu schätzen.
Das aktuellste Familienproblem fiel mir ein. »Ist Mama wieder da?«
»Ja und nein.«
»Was soll das denn heißen?«
Jan lachte. »Die kam heute Morgen ganz früh nach Hause und hat sich gleich wieder hingelegt, ohne auch nur Guten Morgen zu sagen. Richtig anwesend ist sie also nicht.«
Für Spitzfindigkeiten war ich noch nicht fit genug. Für größere Krisen auch nicht. Ich beschloss, lieber später über Mama nachzudenken. Das ging erst nach einem anständigen Frühstück.
»Wieso rufst du überhaupt an?«
»Ich bin in Lüneburg«, erklärte Jan. »Ein paar alte Freunde besuchen.«
»Du hast keine alten Freunde in Lüneburg. Bloß Idioten, die dich früher gemobbt haben.«
»Irrtum«, sagte Jan und klang ein bisschen beleidigt, weil ich ihn an seine schwere Schulzeit erinnert hatte. »Wir haben im Salon viele Kunden, die von weit her zu uns kommen. Einige sind aus Lüneburg.«
Alle Achtung! Mein kleiner Bruder war ja wirklich gefragt in seinem Job.
»Ich habe Nachforschungen angestellt und spannende Dinge herausgefunden«, fügte Jan mit dramatischer James-Bond-Stimme hinzu.
Mittlerweile kam mein Denkvermögen langsam in Fahrt. »Willst du mir erzählen, dass einer von denen eine Hamburger Rentnerin namens Hertha Kowalski kennt?« Unsinnige Hoffnung flammte in mir auf – und verlosch gleich wieder.
»Nee, wie kommst du denn auf so was? Solche Zufälle gibt’s nur im Film, Kröte.«
»Dachte ich mir schon.«
»Aber der Heiner Haferbeck, einer meiner besten Kunden, der kennt jemand anderen, und das dürfte dich interessieren.«
»Sag schon.«
Jan holte tief Luft. »Paul Liebling. Die beiden sind um ein paar Ecken miteinander verwandt. Und es kommt noch besser. Heiner kennt Pauls kleines privates Geheimnis. Ist eine echt irre Geschichte. Mir ist jetzt klar, warum er vor dir weggelaufen ist.«
»Hä?«
»Nun wach doch mal auf!«
»Versuche ich ja.« Kleines privates Geheimnis? Irre Geschichte? Ein schrecklicher Verdacht keimte in mir auf. Herr im Himmel! Das durfte nicht wahr sein! War Paul am Ende doch …
»Nein, er ist nicht schwul.«
»Woher weißt du …«
Jan lachte schon wieder. Ihn schien die ganze Geschichte köstlich zu amüsieren. »Ich kenne deine chaotischen Gedankengänge.«
Wie bitte? Chaotische Gedankengänge? Ich war ein rationaler, kühl denkender Mensch!
Ich kam nicht weiter, denn Jan sagte: »Paul hat in der Liebe bisher kein Glück gehabt, und er hat sich offensichtlich dazu entschlossen, für den Rest seines Lebens Single zu bleiben. Behauptet jedenfalls Heiner. Aber ich finde, er klingt glaubhaft.«
»Das hört sich jetzt aber gar nicht gut an«, erwiderte ich und grinste den jungen schönen Robbie Williams direkt neben der scheußlichen Wanduhr an. Wenn es um unglückliche Liebesgeschichten ging, war meine eigene mit Karl ja wohl kaum zu toppen.
»Ist es auch nicht«, erwiderte Jan mit Grabesstimme. »Du wirst dich wundern. Der Mann ist wirklich wild zum Zölibat entschlossen. Dem
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