Immer für dich da (German Edition)
so leise, dass Tully merkte, sie sollte nicht mithören. »Noch bevor du uns vermisst, sind wir bereits zurück.«
»Es wird sich viel länger anfühlen«, erwiderte Kate. »Denn ich vermisse euch jetzt schon.«
»Komm schon, Mommy«, sagte Marah scharf. »Wir müssen jetzt los. Stimmt’s, Tante Tully?«
»Gib deiner Mom einen Abschiedskuss«, forderte Johnny.
Pflichtschuldigst ging Marah zu Kate und küsste sie. Kate umarmte sie und ließ sie erst los, als sie zu zappeln begann.
Als Tully das sah, verspürte sie einen Anflug von Neid: Sie waren eine so perfekte Familie.
Johnny packte mit Marah die Koffer in den Wagen.
Tully sah Kate an. »Du bist doch hier, oder? Falls ich anrufen möchte?«
»Ich bin immer hier, Tully. Deshalb heißen wir ja ›Hausfrauen‹.«
»Sehr komisch.« Tully senkte den Blick und starrte auf ihre Sachen. Ganz obenauf lag ein Stapel Notizen, die sie sich bei dem letzten Telefonat mit ihrem Anwalt gemacht hatte, darunter auch eine Liste von Clouds letzten Adressen. »Also dann. Ich muss jetzt los.« Sie griff nach ihrer Tasche und ging zum Auto.
Als der Wagen das Ende der Auffahrt erreicht hatte, drehte sie sich noch mal um.
Kate stand immer noch an der Haustür und winkte ihnen, während die Zwillinge an ihren Rockschößen hingen.
Ihr erstes Ziel war nur zwei Stunden später ein Wohnwagenpark in Fall City, Clouds letzte bekannte Adresse. Doch offenbar war ihre Mutter eine Woche zuvor umgezogen und hatte keine Nachsendeadresse hinterlassen. Der Mann, mit dem sie sprachen, meinte, Cloud sei auf einen Campingplatz in Issaquah gezogen.
Die nächsten sechs Stunden fuhren Tully, Johnny, Marah und ein Kameramann, der sich aus gutem Grund »Fat Bob« nannte, von einem Ort zum anderen und folgten Clouds Spuren. An jeder Station filmten sie, wie Tully mit Leuten von den Campingplätzen oder Kommunen sprach. Manche kannten Cloud, doch niemand schien zu wissen, wo sie sich zurzeit aufhielt. So ging es von Issaquah nach Cle Elem und dann nach Ellensburg. Bei den Aufnahmen hing Marah an Tullys Lippen.
Sie hatten gerade in North Bend zu Abend gegessen, als Fred anrief und berichtete, dass Clouds letzter Scheck in einer Bank auf Vashon Island eingelöst worden war.
»Dort könnten wir in einer Stunde sein«, murmelte Johnny.
»Meinst du, wir finden sie?«, fragte Tully. Sie waren zum ersten Mal an diesem Tag allein. Fat Bob war im Wagen und Marah gerade zur Toilette gegangen.
Johnny sah sie an. »Ich meine, wir können Menschen nicht zwingen, uns zu lieben.«
»Nicht mal unsere Eltern?«
»Vor allem nicht unsere Eltern.«
Plötzlich spürte sie einen Anflug ihrer alten Vertrautheit. Ihr fiel wieder ein, dass sie beide ohne Eltern aufgewachsen waren. »Wie ist das, Johnny, wenn man geliebt wird?«
»Das ist nicht die Frage. Eigentlich möchtest du doch wissen, wie es ist, jemanden zu lieben.« Er warf ihr ein jungenhaftes Lächeln zu. »Abgesehen von dir selbst, meine ich.«
»Ich brauche wohl neue Freunde.«
»An deiner Stelle würde ich jetzt keinen Rückzieher machen, sondern mitspielen. Ich bin jetzt mit von der Partie. Und die Kamera wird alles aufnehmen. Aber wenn du wirklich einen Rückzieher machen willst, dann tu es jetzt, auf der Stelle.«
»Du kannst mich doch schützen.«
»Nein, genau das will ich dir begreiflich machen, Tully. Ich werde dich nicht schützen, sondern tun, was die Story verlangt. Wie du in Deutschland.«
Das verstand sie. Die Story war wichtiger als jede Freundschaft: Das war ein Grundgesetz des Journalismus. »Na, dann versuch mich möglichst von links zu filmen. Das ist meine Schokoladenseite.«
Johnny lächelte und bezahlte die Rechnung. »Geh Marah holen. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir vielleicht noch die letzte Fähre.«
Doch dann verpassten sie sie doch und mussten in einem heruntergekommenen Hotel am Fährhafen übernachten.
Am nächsten Morgen wachte Tully mit Kopfschmerzen auf, gegen die kein Schmerzmittel helfen wollte. Sie frühstückten in einem Diner, den Fat Bob empfohlen hatte. Um neun waren sie bereits auf der Fähre, auf dem Weg zu einer Obst anbauenden Kommune auf Vashon Island.
Auf jeder Station dieses Weges war die Kamera auf Tully gerichtet. Und Tully behielt die ganze Zeit ihr Lächeln, selbst als sie die Angestellten der Bank befragte, wo der letzte Scheck eingelöst worden war, und sie ihr einziges Foto von ihrer Mutter vorzeigte, das mittlerweile schon ganz abgegriffen und zerknittert war.
Erst gegen zehn, als sie an
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