Immer wieder du: Roman (German Edition)
einen japanischen Touristen und schaue hinunter auf das schäumende Wasser. Wir verlassen den Hafen. Auf den riesigen dunklen Bögen der Sydney Harbour Bridge klettern winzige Gestalten wie Ameisen. Das zu machen habe ich mir schon seit Jahren vorgenommen, aber ich habe aus dem Leben hier noch nicht viel herausgeholt. Wochenendtouristen unternehmen in Sydney wahrscheinlich mehr, als ich in all den Jahren geschafft habe. Nicht einmal in der Oper war ich. Ich könnte mit Kay, Olivia und Isabel dorthingehen.
Der Abendwind hat aufgefrischt, und jede Menge Segler sind unterwegs. Ich schaue zu, wie sie drehen und wenden und aneinander vorbeimanövrieren. Ein Boot mit einem orange-roten Segel kollidiert beinahe mit einem blau-gelb gestreiften Segelboot. Die Sonne scheint gleißend auf die Wellen zwischen ihnen, als sie aneinander vorbeifahren, und grelles Licht sticht in meine Augen. Hätte ich doch meine Kamera dabei!
Woher kommt dieser Wunsch? Du fotografierst doch nicht mehr, schon vergessen?
Warum eigentlich nicht?
Du tust es einfach nicht!
Aber wieso nicht?
Weil ich wusste, dass es dich enttäuschen würde. Ich glaube, das ist der Grund, warum ich aufgehört habe – um dich zu strafen. Wie blöd ist das eigentlich? Wie solltest du es je erfahren? Egal, damit muss ich jetzt leben.
Ich könnte Fotografin sein, keine Empfangsdame.
Sei nicht albern, Lily. Das könntest du nicht.
Aber Ben hat gesagt, ich könnte alles schaffen.
Dann hat Ben sich eben geirrt.
Meine Mum bewahrt bis heute eine Kiste mit meinen Sachen von damals auf, als wir hierherzogen, bevor ich eine Stelle und eine eigene Wohnung hatte. Meine Kamera ist tief darin vergraben. Ich könnte Mum anrufen und sie fragen, ob sie morgen Zeit hat. Vielleicht hat Richard sogar Lust auf einen Ausflug nach Bondi.
Dort lebt meine Mum: in einer kleinen Wohnung in Bondi Beach mit Blick aufs Meer. Sie arbeitet als Oberkellnerin in einem Restaurant. Die Gäste scheinen sie zu mögen, denn sie bekommt meistens Trinkgeld, obwohl das in Down Under nicht die Regel ist.
Die Fähre tuckert nach Manly, und die Leute schieben sich langsam nach vorn. Ich frage mich, ob Richard damit einverstanden ist, wenn wir uns heute Abend nur eine Pizza bestellen? Mir würde es reichen, damit gemütlich vor der Glotze abzuhängen. Ich habe noch immer nicht die letzte Folge von dieser Tanzshow gesehen, die ich aufgenommen habe. Mir gefällt die Sendung. Richard mag sie überhaupt nicht, aber vielleicht kann ich ihn dazu überreden, ein paar Soldaten auf seiner Play Station zu erschießen, während ich Fernsehen gucke.
Ich schlendere am Strand entlang, vorbei an den hohen Wohnblocks, die die Küste säumen, und biege nach links in eine Wohnstraße. Der Weg führt steil bergan. Irgendwann gebe ich auf, bleibe stehen und krame in meiner Tasche nach meinen Flipflops. Auf einem Fuß hüpfend, öffne ich den Riemen meiner Pumps, schlüpfe mit dem linken Fuß in den Flipflop und wiederhole die Prozedur mit dem rechten. Anschließend atme ich erleichtert aus. Dann setze ich meinen Weg bergan fort und lasse meine Schuhe an ihren Riemen baumeln. Eine Viertelstunde später biege ich in unsere Straße ein.
Wir wohnen in einem keinen Bungalow mit zwei Schlafräumen, den Richard mit Nathan auf Vordermann gebracht hat, eines seiner ersten Projekte. Nathan hatte davor schon mehrere ähnlich heruntergekommene Häuser renoviert, aber Lucy und ihm gefiel das letzte so gut, dass sie es nicht verkauften. Sie wohnen noch immer dort. Richard und mir ging es genauso. Wir waren erst zwei Monate zusammen, und obwohl ich für das Haus schwärmte und gern mit Richard zusammenziehen wollte, war es zu früh, um gemeinsam etwas zu kaufen.
Mit Hilfe seiner Eltern erstand Richard dann das Haus. Mittlerweile hat er den Kredit an seine Eltern zurückgezahlt. Sie haben nicht darum gebeten, brauchen das Geld auch nicht unbedingt, aber ich bin froh, dass er seine Schulden beglichen hat. Ich fühle mich Richard bereits verpflichtet, weil ich in seinem Haus wohne; ich wollte nicht auch bei seinen Eltern in der Schuld stehen. Dabei vermittelt mir niemand dieses Gefühl. Seine Eltern sind wirklich sehr nett. Aber ich bin zur Unabhängigkeit erzogen worden, und das finde ich gut so. Ich bestehe darauf, die ortsübliche Miete zu bezahlen, auch wenn es weit mehr als die Hälfte dessen ist, was Richard für die Hypothek zahlt. Es ist ihm nicht recht, aber in dem Punkt lasse ich nicht mit mir reden.
Ich stoße das
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