Immortal Guardians: Düstere Zeichen (German Edition)
sich in noch so großer Entfernung ereigneten: die Geburt eines Begabten, den Tod eines Begabten oder Unsterblichen sowie die Verwandlung eines Begabten in einen Unsterblichen. Bei einer Geburt verspürte er eine Art Kribbeln in der Brust, das ihm den Atem raubte, beim Tod wurde er von einer grenzenlosen Leere ergriffen, und die Verwandlung schließlich erfüllte ihn mit Grauen, ähnlich jenem Gefühl, das er in diesem Augenblick empfand. Ließ er sich auf diese Emotion ein, dienten ihm Angst und Schmerz des Verwandelten als Signal, dem er folgen konnte, wie er es bei den telepathischen Schreien der geheimnisvollen Frau getan hatte.
Bislang war dieses Gespür immer da gewesen, sodass er die Betroffenen bei der schwierigen Verwandlung unterstützen und sie schließlich in die Geheimnisse ihres neuen Daseins hatte einweihen können. Er fungierte dabei als Freund und Ratgeber und gab seinen Schützlingen eine Aufgabe, indem er sie entweder selbst ausbildete oder ihnen einen anderen Unsterblichen als Mentor zur Seite stellte.
Aber wer hatte Sebastien zur Seite gestanden? An wen hatte er sich in seiner Not gewandt? Wie viele Menschen hatte er bereits aus Unwissenheit verletzt oder getötet? Oder gar aus Wut oder Verbitterung?
Sollte er von einem Vampir unter die Fittiche genommen worden sein, hatte man ihn unter Garantie mit Lügen über die Unsterblichen Wächter gefüttert.
Ob Bastien überhaupt wusste, dass er anders war als die Vampire um ihn herum? Wusste er, dass er ein Unsterblicher war? Hatte er je versucht, sich einem der Wächter anzuschließen und war dann aufgrund seines vampirischen Verhaltens angegriffen worden?
War das womöglich bei Roland passiert und sann er deshalb auf Rache?
Seth ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den kalten Steinboden hinuntergleiten.
Wie hatte er ihn nur übersehen können?
Wenn Bastien mit Mitte dreißig verwandelt worden war, musste dies zwischen 1813 und 1823 geschehen sein. Das waren damals harte Zeiten gewesen, grausam und blutig. Und nicht nur wegen Napoleon. Es hatte einen Vampir gegeben, welcher der irren Idee verfallen war, die Welt beherrschen zu können, wenn er nur genügend Untertanen erschaffen würde.
Etwa alle tausend Jahre kam so etwas vor. Dann verwandelte ein Vampir haufenweise Menschen, die wiederum weitere beißen sollten. Doch bis besagter Vampir schließlich eine ausreichende Anzahl an Gefolgsleuten zusammengesucht hatte, war sein Gehirn bereits halb vom Virus zerfressen gewesen. Kurzum, er war viel zu verrückt geworden, um seine Leute auch wirklich anzuführen.
Ähnliches hatte sich auch Anfang des 19. Jahrhunderts zugetragen. Halb dem Wahnsinn verfallen, war dieser Vampir zwar nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Plan zu verfolgen, hatte aber immer noch die meisten seiner Opfer verwandelt und nicht getötet, um sie dann ihrem Schicksal zu überlassen. Roland, Marcus und die anderen Unsterblichen waren daraufhin jahrelang damit beschäftigt gewesen, den Vampir und seine reichliche Nachkommenschaft auszurotten.
Und zu guter Letzt hatte Seth mit ungewöhnlich vielen Unsterblichen dagesessen, die der Unterstützung und Ausbildung bedurften.
Am schwersten hatte er es dabei mit Lisette gehabt. Sie war 1815 verwandelt worden und hatte, noch bevor Seth sie ausfindig machen konnte, versehentlich ebenfalls ihre beiden Brüder mit dem Virus infiziert. Bei dem Versuch, den Zustand ihrer Schwester zu verheimlichen, hatten die Brüder ihr den Hals dargeboten, ohne zu wissen, dass wiederholtes Trinken sie ebenfalls verwandeln würde.
Mit dem Ergebnis, dass er damals schließlich von drei Stimmen gleichzeitig gerufen worden war.
Hatte es zeitgleich vielleicht noch eine vierte gegeben, die von den anderen einfach übertönt worden war?
Verzweifelt stützte Seth die Ellenbogen auf die Knie und ließ den Kopf hängen.
Wie hatte ihm das nur passieren können?
Und gab es außer Sebastien noch andere dort draußen?
Bislang war er sich so sicher gewesen, stets alle gefunden zu haben, doch jetzt …
Obwohl er tief in Schuldzuschreibungen und Selbstzweifeln versunken war, nahm er das Geräusch nackter Füße auf dem Steinboden und das leise Rascheln von Stoff wahr.
Jemand trat durch die offene Tür. Betrat den Raum. Seinen Raum. Den Verbotenen Raum.
Kam auf ihn zu. Langsam. Zögerlich.
Aus den Augenwinkeln heraus konnte er kleine blasse Zehen unter der Rüschenbordüre eines weißen Nachthemds hervorlugen sehen.
Es war die geheimnisvolle
Weitere Kostenlose Bücher