In Blut geschrieben
irgendjemandem engeren Kontakt?«, fragte er und achtete darauf, nicht näher zu treten. Wenn er gebührenden Abstand hielt, würde Shapiro seinen Freiraum behalten und somit auch sein Selbstvertrauen.
»Nicht dass ich wüsste. Aber ich habe ihn nur hinter Gittern gekannt, dort war er recht gesprächig und redete so ziemlich mit jedem.«
Schlechter Anfang. Zu allgemein.
»Aber es gab doch sicher einen, dem er näher stand – ein Kumpel, ein Typ, dem er sich anvertraute, oder?«
Shapiro schüttelte den Kopf.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Spencer ist ein komischer Kauz, ein bisschen behämmert, um ehrlich zu sein.« Er hielt einen Augenblick inne und schnaubte verächtlich. »Das heißt, es gab da einen gewissen Hooper, mit dem hat er sich ganz gut verstanden.«
»Ein Mitgefangener?«
»Ja. Wir waren zu dritt auf der Bude, und Spencer hat oft mit ihm gequatscht, vor allem abends, na ja, Sie wissen schon, sie flüsterten sich irgendwelchen Blödsinn zu und lachten sich halb tot.«
»Welche Art von Gesprächen?«
»Keine Ahnung. Sie hatten einfach ihren Spaß. Spencer machte sich über alles lustig. Aber wenn er mal von Dingen sprach, die ihm wichtig waren, lag etwas Unheimliches in seinen Augen, sie wurden ganz schwarz, und dann wusste man, dass er kein Theater mehr spielte. Ich hab die Nachrichten verfolgt, es wundert mich nicht, dass er wieder angefangen hat, als er rauskam. Wenn die Aufseher und die Richter öfter mal nach der Meinung der Knastbrüder fragen würden, dann könnte man die Behörden vor solchen schrägen Typen warnen und manches Drama verhindern.«
Brolin ging nicht auf diese letzte Bemerkung ein, die ihm bei einem Burschen wie Shapiro etwas fragwürdig vorkam.
»Und dieser Hooper, was halten Sie von dem?«
»Ein Arschloch. Ein perverses obendrein. Gut, ich bin kein Heiliger, aber ich habe mich noch nie an kleinen Mädchen vergriffen, dieser Typ ist Dreck. Mal unter uns, wenn ich nicht rauskommen und mir was Neues hätte aufbauen wollen, dann hätte ich mir dieses Schwein vorgeknöpft!«
Zorn blitzte in seinen Augen auf, seine Schürze spannte sich unter dem Druck seiner Brustmuskeln, und mehrere rosafarbene Tropfen fielen auf den Boden.
»Ein Dreckskerl«, fügte er hinzu.
Brolin dachte an James Hooper. Er saß noch in seiner Gefängniszelle. Trotzdem hatte er möglicherweise weiter Kontakt zur Außenwelt – brieflich oder einfach per Telefon. In manchen Einrichtungen genügte es, dass man über eine Kreditkarte verfügte, um auf dem Hauptflur telefonieren zu können.
James Hooper.
Trotzdem passte das nicht zusammen. Pädophile sind im Allgemeinen schüchtern, zumindest Einzelgänger, und wenn sie sich zu Gruppen zusammenschließen, dann lediglich unter Gleichgesinnten. Spencer Lynch aber hatte nur Frauen angegriffen, und die bei ihm gefundenen pornographischen Fotos zeigten hauptsächlich Erwachsene. Trotzdem durfte die Spur Hooper nicht vernachlässigt werden. Brolin wandte sich wieder Shapiro zu, dessen Gesicht vor Wut noch röter geworden war.
»Glauben Sie denn«, fragte er, »dass sich Lynch auch für Kinder interessiert haben könnte? Hat er Hooper davon erzählt?«
Shapiro dachte einen Augenblick nach und stützte sich mit der rechten Hand auf das Spülbecken.
»Nein, ich glaube nicht, aber ich habe mir ihr Getuschel nicht angehört. Doch wenn Sie Wert auf meine Meinung legen: Spencer war schlau genug, um zu sehen, dass mir so was nicht gefiel. Wenn er also mit dem anderen Dreckskerl über solche Schweinereien hätte sprechen wollen, dann nur hinter meinem Rücken.«
In der Nähe heulte eine Kreissäge auf, bevor sie mit einem dumpfen Laut eine Rinderhälfte zerteilte. Brolin stellte noch ein paar nebensächliche Fragen, bedankte sich bei Shapiro und schüttelte ihm die Hand. Der Mann hatte einen eisernen Händedruck und entblößte, als er ein Lächeln andeutete, seine schlechten Zähne.
»Tut mir Leid wegen eben; die Vergangenheit holt mich ab und zu ein, und das macht mich etwas aggressiv. Übrigens … viel Glück mit der Kleinen.«
Es entstand ein kurzes verlegenes Schweigen.
»Danke«, sagte Brolin schließlich.
»Ich hoffe, Sie finden sie. Kinder sind heilig.«
Hinter diesen blutverschmierten Kleidern verbarg sich offenbar ein Mann, der bei gewissen Dingen doch ein mitfühlendes Herz hatte. Brolin fixierte den Exknacki und machte eine »Momentaufnahme«. So nannte er seine Methode. Er brachte den anderen zum Reden, er hörte zu, bildete sich schon mal eine
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