in China
etwas Blaues, ist das nicht ein Witz?« kicherte sie und schnitt eine Grimasse. »Ich habe die Jeans eingepackt für den Fall, daß ich mal Gelegenheit zum Reiten habe. Ich habe auch ein Baumwollhemd dabei.
»Ziehen Sie das an!« riet ihr Mrs. Pollifax.
Iris sah sie erschrocken an. »Aber Jenny hat so einen entzückenden Rock und eine dazu passende Bluse an, und Sie sehen so schick aus in Ihrem...«
Mrs. Pollifax schüttelte den Kopf. »Ziehen Sie die Jeans und diese Baumwollbluse an.«
Iris seufzte gottergeben. »Du liebe Zeit, was mich das Zeug gekostet hat! Davon hätte die Vogue Boutique ein ganzes Jahr existieren können, das schwöre ich Ihnen.«
»In Jeans werden Sie fantastisch aussehen«, versicherte ihr Mrs. Pollifax, ohne auf ihre Einwände zu achten. »Sie müssen Sie selbst sein.«
Iris ließ sich das durch den Kopf gehen und seufzte wieder. »Das ist es ja eben, nichts ist so schwer wie das. Finden Sie nicht auch? Sich selber treu zu bleiben. Werden Sie mir beistehen, wenn ich morgen in Jeans erscheine?«
»Nur bis sich alle von ihrem Staunen erholt haben, dann bleiben Sie sich selbst überlassen.«
Iris grinste. »Sie sind furchtbar nett. Als ich Sie das erstemal sah, habe ich gedacht: Lieber Himmel, die wird dir die kalte Schulter zeigen. Aber das war nur zuallererst, als wir noch kein Wort gewechselt hatten. Und nun sitzen wir hier nebeneinander, und ich erzähle Ihnen meine Lebensgeschichte.«
»Stanley hätte Ihnen sicher befohlen, den Mund zu halten«, meinte Mrs. Pollifax.
Iris lachte schallend. »Daß Sie das noch wissen! Sie haben wirklich zugehört. Ach, da kommt ja Mr. Forbes schon wieder. Er ist nicht sehr gesprächig, er hat ständig die Nase in seinem Wörterbuch.«
»Ja, aber ich sitze auf seinem Platz. Den werde ich jetzt wieder räumen«, sagte Mrs. Pollifax.
»Wir sehen uns dann später, Iris.«
Während die anderen wieder in den Wagen strömten, ruckte der Zug an, setzte sich in Bewegung und wurde immer schneller. Mr. Li erschien mit einem Lunchpaket für jeden.
Schon im nächsten Augenblick lagen der Bahnhof und die Grenze hinter ihnen. Mrs. Pollifax dachte beglückt: Jetzt sind wir wirklich in China. Das Abenteuer kann beginnen.
3. Kapitel
Am Spätnachmittag aßen sie im Restaurant von Guangzhou (Kanton), kaum waren sie dem Zug entstiegen. Es war eine total andere Welt. Ihre Zahl hatte sich um einen Mann erhöht: ein Führer für Kanton war hinzugekommen. Er erklärte ihnen, das Hotel läge so weit außerhalb der Stadt, daß ihr chinesisches Bankett jetzt stattfinden müsse. Der Mann hieß Tung. Da begriff Mrs. Pollifax, daß nur Mr. Li wirklich zu ihnen gehörte und sie auf der ganzen Reise durch China begleiten würde. Die anderen Reisebegleiter mit Namen wie Chu oder Tung würden kommen und gehen, und die Erinnerung an sie würde rasch verblassen.
Jedenfalls hatte Mrs. Pollifax ganz deutlich das Gefühl, daß ihre innere Uhr sich noch nicht eingependelt hatte. Ihr Zeitgefühl trog sie. Aber ein Bankett am späten Nachmittag war wohl auch nicht abwegiger als ein Frühstück mitten in der Nacht hoch über dem Pazifik. Sie waren da, befanden sich ganz ohne Zweifel in China, und zwar im zweiten Stockwerk eines riesigen großen alten Holzgebäudes, in einem Saal mit großen runden Tischen. Nur an einem dieser Tische saß eine chinesische Familie, und zwar in der hintersten Ecke. Sie aßen und unterhielten sich angeregt. Eine ganze Sippe, eine Hochzeitsgesellschaft, erklärte ihnen Mr.
Li.
Mit Hilfe ihrer Eßstäbchen beförderte Mrs. Pollifax eine Scheibe gezuckerte Tomate in den Mund. Ein Gefühl des Triumphs bemächtigte sich ihrer, als ihr das gelang. Von ihrem Platz aus konnte sie in den Hof des Restaurants hinuntersehen. Von Dachrinne zu Dachrinne war eine Wäscheleine gespannt, auf der Kleider hingen - entweder grau, blaßblau oder grün. Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, daß da jemand seine Wäsche aufgehängt hatte; denn auch über der breiten Straße vor dem Restaurant hatten Kleidungsstücke gehangen. Sie flatterten wie Banner vor sämtlichen Fenstern. Das geschah vermutlich aus Gründen der Raumersparnis. Die Schränke in den Wohnungen waren wohl kaum geräumig genug. Auch sie kannte dieses Problem. Sie dachte an ihre eigenen überquellenden Kleiderschränke und fragte sich, was ihre Nachbarn wohl sagen würden, wenn sie zu einer solchen Lösung griffe.
Genau in diesem Augenblick verkündete Mr. Li, der neben ihr saß: »Es ist wichtig zu
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