In dein Herz geschrieben
wenn sie gewollt hätte - sei es im Rahmen dieser oder jener Kirchenveranstaltung, im Zusammenhang mit der Bekanntgabe, dass Walton seinen Posten im Landeshafen aufgab und in den Ruhestand ging, oder ihres fünfzigsten Hochzeitstags, doch sie wollte lieber auf etwas Großes warten. Sie wollte die öffentliche Aufmerksamkeit nicht teilen, nicht einmal mit ihrem Ehemann, und sie hatte nicht so lange gewartet, nur um am Ende in winziger Druckschrift auf der letzten Seite zu landen. Oh nein. Sie wollte entweder auf die Titelseite oder gar nichts. Am Ende würde sie es schon schaffen, womit auch immer, und sie würde es merken, wenn der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war.
Als sie Doris die Treppe herunterkommen hörte, legte sie die Zeitung beiseite, um den Speck zu holen. Sie legte die sechs langen Streifen nebeneinander in die Pfanne und drehte den Herd auf kleine Flamme. Den Speck langsam anbraten, das war der Trick, wenn man genau das richtige Verhältnis zwischen knusprig und weich erreichen wollte. Das und die Verwendung einer Schinkenpresse, damit die Scheiben flach blieben und sich nicht in der Pfanne wölbten. Das war eines der vielen Dinge, die ihre Mutter ihr beigebracht hatte, von denen sie für den Rest ihres Lebens profitierte. Sie wollte, dass der Speck fertig war, wenn Doris die ersten Stufen herunterkam. Auf diese Weise konnte sie die Eier dazutun, wenn Doris sich ihren ersten Kaffee einschenkte.
May stand vor dem Herd und summte vor sich hin, irgendeine alte Melodie, die ihr Vater immer gepfiffen hatte, »Sally Goodin« hieß sie, soweit sie sich erinnern konnte. Es hatte ihre Mutter regelmäßig in den Wahnsinn getrieben. »Thomas, würdest du endlich mit diesem Gepfeife aufhören«, hatte sie immer gesagt, worauf er jedes Mal grinste und in diesem typisch langsamen Tonfall »ja, Ma’am« sagte. Und
dann hörte er genau so lange auf, bis sie aufgegessen hatten, ehe er beim Hinausgehen wieder anfing. Nicht, weil er ihre Mutter damit ärgern wollte, sondern weil er offenbar nicht anders konnte. Doch ihre beiden Brüder übernahmen diese Angewohnheit von ihrem Vater, so dass es vorkam, dass das Pfeifen der drei den ganzen Weg über die Felder bis zum Haus herübergetragen wurde. Aber Jesse und Tom junior pfiffen niemals, solange sie sich im Haus aufhielten. Das hatte sich nur ihr Vater erlauben dürfen.
Sie hörte Doris den Korridor herunterkommen und rief »Morgen, Liebes«, ohne sich umzudrehen.
»Morgen«, sagte Doris so leise, dass May stets das Bedürfnis hatte, als Ausgleich noch lauter zu sprechen.
Die Stuhlbeine scharrten lautstark über den Linoleumfußboden, als Doris den Stuhl unter dem Tisch hervorzog und sich hinsetzte, so wie sie es jeden Morgen tat. May verstand nicht, wieso sie den Stuhl nicht einfach anheben konnte, aber sie hatte diese Gewohnheit schon viel zu lange angenommen, um sich deswegen noch beschweren zu können. Überleg dir genau, welche Schlacht du schlagen willst - diese Erkenntnis hatte sie nach über fünfzig Jahren Ehe gewonnen. Es brachte nichts, sich wegen scharrender Stuhlbeine aufzuregen. Oder über Walton, wenn er ab und zu einmal betrunken nach Hause kam und wenn er jeden Tag einen Fisch mit nach Hause brachte und erwartete, dass sie ihn kochte und die Reste einfror. Nach seiner Pensionierung hatten sie eine Tiefkühltruhe kaufen müssen, nur um all den Fisch unterzubringen. Es war ein Segen, dass er eine Beschäftigung gefunden hatte, aber manchmal wünschte sie sich, er würde etwas anderes mit nach Hause bringen, statt immer nur Fisch. Selbst im Herbst, wenn alle Männer jede freie Minute in ihren Entenausgucken verbrachten, saß Walton am Pier und angelte. Wenn ein Mann etwas findet, was er gut kann, sollte er auch dabei bleiben, sagte er immer.
In diesen Momenten hörte sie im Geiste ihre Mutter, wie sie ihr mit dieser »Ich hab’s dir doch gleich gesagt«-Stimme erklärte, sie hätte niemals einen Mann von einer Insel heiraten dürfen, wenn sie keinen Fisch möge. Doch May würde nichts auf ihren Angler kommen lassen, und sie wusste, dass ihre Eltern ihn fast ebenso geliebt hatten, wie sie selbst es tat. Trotzdem war es schwer für sie gewesen, als sie nach ihrer Heirat so weit fortgezogen war. May hatte immer gewusst, dass sie nicht in Davis bleiben und den Rest ihres Lebens die Berge betrachten würde. Sie mochte keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, aber zumindest schien sie die Gabe zu haben, das eine oder andere vorauszuahnen. Walton
Weitere Kostenlose Bücher