In dein Herz geschrieben
klopfte und Dr. Bangdiwala hereinkam. »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie auch Patient sind«, meinte er mit einem Blick auf Hectors Krankenblatt.
»Das bin ich auch nicht. Aber Cassandra meinte, ich sollte diesen Schnitt hier ansehen lassen.«
Cassandra beschloss, den Mund zu halten, und den Profi seine kleine Blase der Selbstlüge zerstören zu lassen. Der Arzt wusch sich die Hände, streifte Handschuhe über und beugte sich vor, um die Wunde anzusehen, während Hector schilderte, was passiert war. Nach etwa zwei Sekunden richtete sich Dr. Bangdiwala wieder auf. »Das muss genäht werden. Wann haben Sie Ihre letzte Tetanusspritze bekommen?«
»Oh Mann«, stöhnte Hector, und Cassandra konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Der Doktor streifte die Handschuhe ab und warf sie in den Mülleimer. »Es kann eine Weile dauern, bis die Schwester Zeit für Sie hat, okay?«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Wir hängen heute ein bisschen hinterher.« Und damit verschwand er.
Cassandra sah Hector an, ehe sie den Blick durch den Raum schweifen ließ. Déjà vu, dachte sie und erinnerte sich an den Tag vor anderthalb Jahren, als sie mit Ruth Ann und ihrer Mutter in einem Krankenzimmer wie diesem hier in Davis gewesen war. Tu das nicht, ermahnte sie sich. Stattdessen begann sie, in den Schubladen nach Seife, einem Antiseptikum und Verbandmull zu suchen.
»Was machen Sie da?«, fragte Hector und rieb sich den Arm, als wäre es nun, da der Arzt die Notwendigkeit des Nähens bestätigt hatte, auch in Ordnung, zuzugeben, dass er Schmerzen hatte.
»Ich suche nach etwas, um die Wunde zu säubern.«
»Das wird die Schwester schon machen.«
Er klang nervös, und Cassandra hatte Mühe, nicht zu grinsen. »Keine Sorge, ich weiß, was ich tue. Ich hatte früher eine Kindertagesstätte und musste regelmäßig meine Kenntnisse in Erster Hilfe und Herz-Lungen-Wiederbelebung auffrischen. Ha, da ist es ja.« Sie drehte sich um und ließ die Schere aufund zuschnappen.
Hector wich zurück. »Ich glaube, ich warte lieber auf die Schwester.«
»Reine Zeitverschwendung«, erwiderte sie und klapperte wieder mit der Schere. Eine Hand auf die Hüfte gestützt, wartete sie, bis er sich aufgesetzt hatte, ehe sie näher trat und die Wunde inspizierte. Das Einfachste wäre, den Stoff rings um die Schulternaht bis unter die Achsel aufzutrennen. Auf diese Weise bräuchte sie anschließend den Ärmel lediglich
herauszuziehen. Doch um an die Naht heranzukommen, müsste sie die Hand unter sein Hemd schieben. Sie wandte den Kopf und sah sein Gesicht, das dicht vor ihr schwebte, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie Mühe, Atem zu schöpfen.
Er nickte mit dem Anflug eines Lächelns, worauf sie den Blick eilig wieder auf den Hemdsärmel richtete. Zweifellos war ihr Gesicht tiefrot angelaufen, wie immer, wenn sie verlegen war. Seine Haut fühlte sich heiß unter ihren Fingern an, als sie nach dem Stoff griff. Sie holte tief Luft. »Ich hoffe nur, das ist nicht Ihr Lieblingshemd, denn ich werde jetzt den Ärmel herausschneiden.« In ihren Augen wäre es jedenfalls kein allzu großer Verlust. Auf dem Hemd waren ein Schwertfisch und der Spruch Ich hab noch nie einen Fisch, den ich nicht angeln, und eine Frau, die ich nicht wieder freilassen konnte, gefunden aufgedruckt. Sehr witzig.
»Ich hänge ziemlich an diesem Hemd«, erklärte er. »Es hat einen sentimentalen Wert für mich.«
»Okay.« Er machte keine Anstalten, sie daran zu hindern, also bohrte sie mit der Scherenspitze ein Loch in den Saum und begann zu schneiden. Seinen warmen Atem an ihrem Hals zu spüren war nicht gerade hilfreich, und es war eine echte Erleichterung, als sie loslassen und hinter ihn treten musste, um den restlichen Stoff abzutrennen. Bislang war ihr noch nicht aufgefallen, wie breit seine Schultern waren. Wahrscheinlich hatte er auf der Highschool Football gespielt. Im Raum war es totenstill, bis auf das Summen der Klimaanlage, ihrer beider Atemzüge und die eine oder andere Stimme, die vom Korridor hereindrang, wenn jemand vorbeiging.
»Das ist das Hemd, das ich am zweitschönsten Tag meines Lebens anhatte«, sagte Hector schließlich. »Der schönste war der, als meine Tochter zur Welt kam.«
Die Finger noch immer um die Schere gelegt, hielt sie inne. Richtig. May hatte vorhin eine Tochter erwähnt. Aber er trug
keinen Ehering. Sie zwang ihre Hand, sich zu entspannen, und fuhr fort. »Sie haben dieses Hemd also zu Ihrer Hochzeit getragen? Das glaube ich
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