In deinen Armen
die Berge selbst ihre Zustimmung murmelten. Irgendwo in diesem Schloss, so malte sie es sich aus, schickte MacLean Ranken des Begehrens nach ihr aus, und ihr schien, dass er sie mit einer von Nacht zu Nacht anwachsenden Befehlsgewalt zu sich beorderte.
Darum hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Und immer hoffte sie, es sei MacLean.
Die Hände auf den Rücken gelegt, marschierte sie die Galerie entlang und blickte die mit Porträts behängten Wände hinauf; lang verstorbene Clansherrn, ihre Hunde, ihre Pferde, ihre Frauen.
Das Gemälde am Ende der Galerie zog sie ganz besonders an – es zeigte den vorigen Clansherrn mit seiner Frau Bess und den Kindern, Kiernan und Elizabeth, sowie Lady Catriona … und Stephen. Enid starrte die beiden Burschen an, die beieinander standen, als wären sie Freunde. Stephen war älter gewesen als Kiernan, siebzehn Jahre er und Kiernan elf, doch schon damals hatte Kiernan seinen Cousin an Größe und Statur übertroffen. Der Künstler hatte schön eingefangen, wie Stephen seinen Charme kultivierte und die erzwungene Ruhe Kiernan ungeduldig machte. Zwei MacLeans, gemeinsam aufgewachsen und doch so unterschiedlich.
»Er war sehr attraktiv, nicht wahr?«, fragte eine atemlose weibliche Stimme hinter ihr.
Enid zuckte zusammen und drehte sich um.
Obwohl sie die Dame seit jener ersten Nacht nicht mehr gesehen hatte, erkannte sie Lady Catriona sofort. Lady Catrionas graues Haar war zu einem Knoten gewunden und von einem schwarzen, spitzenbesetzten Witwenhäubchen bedeckt. Ihre Gesichtszüge waren abgespannt, die Kleider unerbittlich schwarz, und die Hände, in denen sie ein Taschentuch zerknüllte, zitterten nervös. Sie konnte kaum älter sein als Bess; eigentlich, dachte Enid, hätte sie jünger sein müssen, doch bei Lady Catriona zeigten sich die Jahre in ihren gebeugten Schultern, einer beleibten Figur und vielen Falten um einen hängenden Mund und rot geränderte Augen.
»Habe ich Sie erschreckt?« Lady Catriona reichte Enid gerade bis zum Kinn. »Das war nicht meine Absicht. Aber Sie waren so versunken in das Porträt meines lieben Jungen.«
»Ja … das war ich.« Das stimmte vermutlich, doch Lady Catriona schien lautlos dahingleiten zu können, sonst hätte sie Enid nicht so vollkommen überrascht.
»Ich bin Catriona MacLean.« Sie streckte die zitternde Hand aus. »Ich bitte um Verzeihung, Sie nicht früher willkommen geheißen zu haben, aber ich hatte mich zurückgezogen. Ich bin in Trauer.«
»Natürlich.« Enid hätte nicht verlegener sein können. Sie war die Witwe des Sohnes, den diese Frau verloren hatte, aber ihre eigene Trauerarbeit hatte nicht stattgefunden. »Ich bedaure Ihren Verlust.«
»Danke.« Lady Catrionas verblasste blaue Augen füllten sich mit Tränen. »Eigentlich ist es
unser
Verlust, nicht wahr?«
»Ja. Danke«, sagte Enid, obwohl Lady Catriona ihr nicht ausdrücklich kondoliert hatte.
»Ich fühlte mich nicht in der Lage, mit den Mitgliedern der Familie zu speisen. Es fehlt ihnen in diesen traurigen Zeiten so völlig an der angemessenen Gefühlsregung.«
»Oh. ja.« Enid nahm an, dass Catriona damit zum Ausdruck bringen wollte, dass niemand das Fehlen ihres Sohnes bedauerte. »Aber Stephen hat die Isle of Mull schon vor so langer Zeit verlassen, ich bin sicher, Sie haben seinen Verlust längst schon betrauert«, sagte Enid.
»Versuchen Sie nicht, dieses Benehmen zu entschuldigen. Diese Familie ist eine Schande.«
Genau wie sie selbst, vermutete Enid, denn schließlich hatte sie die Familie verteidigt. Zudem nahm Lady Catriona Enid verschlagen in Augenschein, und das rubinrote Samtkleid ging nie und nimmer als Trauerkleidung durch. Enid hätte beinahe gesagt: »Ich habe all meine Kleider bei einem Feuer verloren.« Doch sie wollte sich nicht bei Catriona entschuldigen. Die Frau hatte nach der Hochzeit nie Kontakt zu ihr aufgenommen, sie weder in der Familie willkommen geheißen noch ihr freundschaftlich die Hand gereicht. Nicht nur Enid hatte versagt, was die Höflichkeitsformen betraf.
Als Emd nichts sagte, sprach Catriona weiter. »Ich kenne Klernan, seit er ein Säugling war, und er ist der Schlimmste von dem Haufen. Ein hinterhältiger Maulheld ist er, der sich nur wegen seines Titels immer für etwas Besseres als Stephen gehalten hat.«
»Tatsächlich?« Enid spürte ihre Lippen sich verhärten. »Das hätte ich nicht von ihm gedacht.«
»Weil Stephen sich nie beklagt hat. Stephen war immer der liebevolle, sorgende ältere
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