In deinen Augen
Schrotflinten. Sondern Helikopter. Die werden sie gründlich ausrotten, wie die in Idaho.«
»Und das ist definitiv?«, vergewisserte ich mich.
»Nur noch eine Frage des Termins«, erklärte mein Vater. »Sie müssen noch die nötigen Mittel und das Personal und so weiter zusammenstellen.«
Und irgendwie machte mir dieser letzte Satz unmissverständlich den Ernst der Sache klar – dieses Gefasel von »nötigen Mitteln und Personal« klang so sehr nach einem dieser blödsinnigen Marshall-Ausdrücke, dass ich mir genau vorstellen konnte, wie mein Vater die Worte nachplapperte, nachdem er sie selbst nur Minuten zuvor am Telefon gehört hatte.
Das war’s dann wohl.
Coles Gesichtsausdruck war nicht mehr der träge-verführerische von zuvor. Irgendetwas in meiner Stimme oder meinem Gesicht musste ihn alarmiert haben, denn jetzt sah er mich mit einem scharfen, eindringlichen Blick an, unter dem ich mich entblößt fühlte. Ich wandte mich ab.
Dann fragte ich meinen Vater: »Hast du eine Ahnung, wann? Nur ungefähr, meine ich?«
Jetzt redete er mit jemand anderem. Derjenige lachte und mein Vater lachte auch. »Was? Ach, Isabel, ich hab jetzt keine Zeit mehr. Vielleicht in einem Monat, haben sie gesagt. Wir arbeiten natürlich dran, das Ganze zu beschleunigen – ich glaube, es geht vor allem um den Helipiloten und um das richtige Gebiet. Wir sehen uns, wenn ich nach Hause komme. Hey – warum bist du eigentlich nicht in der Schule?«
»Bin gerade auf der Toilette«, sagte ich.
»Ach so, na, in der Schule musst du aber natürlich nicht ans Handy gehen«, erwiderte mein Vater. Im Hintergrund hörte ich einen Mann seinen Namen sagen. »So, ich muss auflegen. Bis dann, Schnuppel.«
Ich klappte das Handy zu und starrte auf die Bücher vor mir. Da stand eine Biografie von Teddy Roosevelt mit dem Cover nach vorn.
»Schnuppel«, sagte Cole.
»Fang gar nicht erst an damit.«
Ich drehte mich um und wir blickten einander nur an. Ich war mir nicht sicher, was er alles gehört hatte. Viel war ja nicht nötig, um zu kapieren, worum es ging. Irgendetwas an Coles Gesicht vermittelte mir noch immer ein komisches Gefühl. Als wäre das Leben zuvor nur ein Witz gewesen, den er zwar auch ein bisschen lustig, aber vor allem langweilig fand. Aber jetzt, nach dieser neuen Information, war da ein anderer Cole – ein unsicherer. Nur für zwei Sekunden war es, als sähe ich bis auf seinen tiefsten Grund, dann plingte die Tür auf und dieser Cole war wieder verschwunden.
Im Eingang stand Sam. Die Ladentür fiel langsam hinter ihm zu.
»Schlechte Nachrichten, Ringo«, sagte Cole. »Wir werden alle sterben.«
Sam sah mich fragend an.
»Mein Dad hat’s geschafft«, erklärte ich. »Die Jagd ist genehmigt. Sie warten nur noch auf den Helipiloten.«
Eine lange, lange Weile stand Sam dort an der Tür, sein Kiefer zuckte kaum merklich. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas seltsam Resolutes. Hinter ihm stand »Geschlossen« auf der Rückseite des »Geöffnet« -Schilds.
Das Schweigen dehnte sich so lange aus, dass ich schon in Erwägung zog, es zu brechen, aber dann sagte Sam, eigenartig förmlich: »Ich hole Grace aus diesem Wald raus. Die anderen auch, aber sie hat Priorität.«
Da sah Cole auf. »Ich glaube, dabei kann ich dir helfen.«
KAPITEL 22
SAM
Im Wald war es still und matschig vom tagelangen Regen. Cole ging voraus, seine sicheren Schritte zeigten, wie oft er diesen Weg schon gegangen war. Isabel war widerstrebend weitergezogen zur Schule, und als Karyn kam, um mich abzulösen, waren Cole und ich so schnell wie möglich zurück zu Becks Haus gefahren. Im Auto hatte Cole mir dann seinen brillanten Plan erklärt, wie wir Grace fangen würden: mit einer Falle.
Ich konnte kaum glauben, dass Cole in der ganzen Zeit, in der ich dachte, er würde bloß das Haus verwüsten, versucht hatte, Tiere zu fangen. Wölfe. Aber bei Cole war einfach alles so unvorhersehbar, dass ich vermutlich gar nicht ernsthaft hätte überrascht sein dürfen.
»Wie viele von den Dingern hast du denn aufgestellt?«, fragte ich, während wir uns durch das Dickicht kämpften. Ich hätte über Isabels Neuigkeiten nachdenken können, über die drohende Jagd, aber ich konzentrierte mich darauf, mir einen Weg durch die Bäume zu bahnen. Die Welt um mich war so nass, dass dafür wirklich einiges an Konzentration nötig war. Wenn ich mich an Ästen festhielt, tropfte Wasser vom Gewitter letzte Nacht auf mich herab, und meine Füße rutschten immer wieder seitlich
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