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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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faire Behandlung verdient.«
    Behutsam legte Sam das Handtuch um den Körper der Wölfin. Sie zuckte unter seiner Berührung zusammen, war jedoch zu müde, um wirklich zu reagieren. »So bin ich nicht erzogen worden«, sagte er schließlich. »Freundlichkeit sollte sich niemand erst verdienen müssen. Nur Grausamkeit.«
    Plötzlich kam mir in den Sinn, wie anders dieses Gespräch verlaufen wäre, wenn Isabel hier gewesen wäre. Sie hätte ihm widersprochen. Aber das lag auch daran, dass für Isabel Grausamkeit und Freundlichkeit zuweilen ein und dasselbe waren.
    »Wie dem auch sei«, murmelte Sam. Aber dann sagte er nichts weiter. Er hob Grace auf, so fest in ihr Handtuch gewickelt, dass sie sich nicht bewegen konnte, selbst wenn sie noch die Kraft dazu gehabt hätte, und machte sich auf den Weg zum Haus.
    Anstatt ihm zu folgen, ging ich zurück an den Rand der Grube und spähte hinein. Die Tonnen trieben immer noch im flüssigen Schlamm, von einer so lückenlosen Schmutzschicht bedeckt, dass man ihre ursprüngliche Farbe nicht mehr erkennen konnte. Nichts regte sich auf der Wasseroberfläche, nichts verriet, wie tief das Loch war.
    Ich spuckte hinunter. Der Schlamm war so dick, dass er sich noch nicht mal kräuselte, als meine Spucke darauf landete. Da unten zu sterben, wäre die Hölle gewesen. Mir wurde bewusst, dass jede Art, auf die ich zu sterben versucht hatte, ein einfacher Ausweg gewesen wäre. So war es mir natürlich nicht vorgekommen damals, als ich auf dem Boden lag und esreichtesreichtesreichtesreichtichwillhierraus zu niemand im Speziellen sagte. Ich war nie auf die Idee gekommen, dass es ein Privileg war, als Cole zu sterben und nicht als etwas anderes.

KAPITEL 24
ISABEL
    Früher, vor Jacks Tod, gab es eine Sache, die meine Eltern immer wieder mit mir und Jack anstellten. Sie suchten sich einen Zeitpunkt, an dem wir mit allergrößter Wahrscheinlichkeit etwas vorhatten, worauf wir uns freuten – meistens wollten wir irgendwas mit Freunden unternehmen, zum Beispiel in die Kinopremiere eines Films gehen, auf den wir sehnsüchtig gewartet hatten, manchmal waren es aber auch einfach nur Hausaufgaben –, und dann kidnappten sie uns.
    Sie fuhren mit uns ins Il Pomodoro. Das heißt »Die Tomate«, für diejenigen unter euch, die wie ich kein Schmalztriefienisch sprechen. Das Il Pomodoro lag anderthalb Stunden von Mercy Falls entfernt, mitten im Nirgendwo, und das will was heißen, denn Mercy Falls selbst war ja eigentlich schon der Inbegriff von mitten im Nirgendwo. Warum wir von einem Nicht-Ort zum anderen fuhren? Tja, während die meisten Menschen meinen Vater als knallharten Strafverteidiger erlebten, der seine Gegner mit der Mühelosigkeit eines Velociraptors auf Speed vernichtete, kannte ich die Wahrheit: In den Händen von Italienern, die ihm Knoblauchgrissini servierten, während im Hintergrund ein süßlicher Tenor herumknödelte, wurde mein Vater zu einem schnurrenden Kätzchen.
    Und so hätte ich nach einem überstandenen harten Schultag, dessen Ende ich kaum hatte erwarten können, um endlich zu Becks Haus zu fahren und nachzusehen, was Sam und Cole so trieben (und nebenher noch eine Million anderer Sachen im Kopf hatte), fast ahnen müssen, dass dies der perfekte Eltern-Entführungs-Zeitpunkt war. Aber das letzte Mal war über ein Jahr her. Ich war unvorbereitet und völlig wehrlos.
    Ich hatte kaum einen Schritt aus dem Schulgebäude gemacht, als mein Handy klingelte. Natürlich war es mein Vater, also musste ich rangehen oder seinen gerechten Zorn riskieren. Ich klappte das Telefon auf und bedeutete Mackenzie weiterzugehen; sie wackelte mir zum Abschied nur kurz mit den Fingern über die Schulter zu, ohne sich umzusehen.
    »Was ist?«, meldete ich mich, während ich auf dem Autoschlüsselknopf herumdrückte, um zu sehen, ab welcher Entfernung sich die Türen entriegelten.
    »Komm direkt nach Hause, wenn du fertig bist«, sagte mein Vater. Im Hintergrund hörte ich einen Wasserhahn rauschen und dann das Zuschnappen eines Schminkkoffers. »Wir gehen heute Abend ins Il Pomodoro, sobald du hier bist, geht’s los.«
    »Soll das ein Witz sein?«, fragte ich. »Ich muss Hausaufgaben machen und außerdem muss ich morgen früh raus. Ihr könnt ja ohne mich fahren, ist doch romantisch.«
    Mein Vater lachte mit unbarmherzig guter Laune: Ha. Ha. Ha. » Wir gehen mit einer ganzen Gruppe hin, Isabel. Schließlich haben wir was zu feiern. Alle wollen dich wiedersehen. Das letzte Mal ist so lange her.« Im

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