In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
»ist das Ansuchen, Ihre Verletzungen und Ihr jetziges Aussehen zu fotografieren.«
Melanie zuckte zurück und verschränkte die Arme.
»Wozu brauchen Sie Fotos? Meine Ärztin macht immer Zeichnungen.«
»Wenn Sie sich entschließen, Anzeige zu erstatten, könnten Fotos nützlich sein. Zumindest von Ihren Verletzungen.«
»Wäre mein Gesicht wenigstens unkenntlich?«
Mary schüttelte den Kopf. »Nein, man muss dich erkennen können.«
»Ich will nicht, dass mich jemand so sieht. Gott, stellen Sie sich vor, jemand, den ich kenne, sieht das?«
Schnell versuchte Anya, sie wieder zu beruhigen. »Keine Angst, das werden nur Leute sehen, die mit dem Fall zu tun haben.«
»So wie bei dem Paris-Hilton-Video?«
»Es ist Ihre Entscheidung. Wir müssen die Fotos nicht machen. Das hat keine Auswirkungen auf das, was wir besprochen haben.«
Mary wechselte einen Blick mit der Kollegin. »Ich bin Zeugin. Keine Fotos.«
»Bringen wir’s hinter uns«, entschied Melanie und stand auf. »Wo soll ich jetzt hin?«
Das Telefon klingelte, und Mary hob ab.
»Melanie, deine Mutter ist draußen. Was willst du tun?«
Tränen stiegen ihr in die Augen. »Kann sie meine Hand halten?«
Mary ging an die Tür. »Natürlich, wenn du es willst.«
Anya riss den Beutel mit dem Untersuchungsmaterial auf und fing an, die Probenfläschchen zu etikettieren.
Sie tat so, als bemerke sie Mutter und Tochter nicht, die da nebeneinander standen.
»Sie dürfen Ihre Tochter leider erst in den Arm nehmen, wenn wir die Beweise sichergestellt haben«, erläuterte Mary vorsichtig.
»Ich weiß.« Sie strich der Tochter eine Strähne aus dem Auge. »Du bist hier in sehr guten Händen.« Sie wandte sich Anya zu.
Sie kam ihr bekannt vor, aber Anya konnte sie nicht recht einordnen.
»Kein Wunder, dass Sie mich nicht wiedererkennen«, sagte sie. »Damals habe ich ganz anders ausgesehen.«
»Gloria Havelock.« Anya lächelte aus tief empfundener Hochachtung. »Jetzt erinnere ich mich. Sehr genau.«
Wie sollte sie es auch vergessen? Es war Anyas erster Bereitschaftsdienst auf dieser Station gewesen und die Nacht, in der sie zum ersten Mal mit Mary Singer zusammengearbeitet hatte. Gloria hatte eine brutale Vergewaltigung überlebt. Aus Sorge um die Familie hatte die Mutter die Vergewaltigung stoisch vor aller Welt geheim gehalten. Stattdessen gab sie vor, ausgeraubt worden zu sein.
»Ma, woher kennst du die Ärztin?«
Gloria sah ihrer Tochter ins Auge. »Darüber können wir später reden. Jetzt müssen wir uns erst einmal um dich kümmern.«
Mit einem Mal stellten sich Anya die Nackenhaare auf.
Wie hoch war die Chance, dass beide Frauen zufällig Opfer eines Überfalls geworden waren?
14
Während Gloria im Sprechzimmer wartete, ging Anya in den Nebenraum, wo Mary ein frisches, blaues Laken über die Liege breitete. »Wenn du willst, bleib ich dabei, ansonsten bin ich nebenan, wenn du mich brauchst.«
»Ist schon in Ordnung, wenn ich mit der Ärztin allein bin«, sagte Melanie.
Anya zog die Schiebetür zu, verriegelte sie und breitete einen weißen Bogen Papier auf den Boden. Dann öffnete sie ein Päckchen Latexhandschuhe, Größe fünf, und streifte sie sich über die Finger.
»Wenn Sie sich jetzt bitte vorsichtig über dem Papier ausziehen würden. Das ist der beste Weg, um Schmutz, Fasern, Haare, und was er womöglich sonst noch während der Tat auf Sie übertragen hat, zu sammeln.«
Melanie tat es. Anya half ihr in ein weißes Krankenhaushemd und bemerkte, als sie es am Rücken zuschnürte, noch weitere Verletzungen. Dann legte sie die Unterwäsche zusammen und steckte sie in eine braune Papiertüte.
»Gleich dürfen Sie etwas trinken, aber zuerst müssten Sie in das Glas hier spucken.« Melanie gab sich die größte Mühe, etwas Speichel zusammenzubekommen. Mit der Pipette übertrug Anya die Flüssigkeit in ein weiteres Fläschchen mit Schraubverschluss.
»Ich gebe Ihnen jetzt ein paar Tropfen Wasser. Damit spülen Sie sich bitte den Mund aus und spucken es dann wieder aus.« Diesmal war das Ergebnis etwas ergiebiger.
»Zu guter Letzt kann es nach einem Überfall nichts schaden, wenn man Zahnseide benutzt, womöglich kommen wir so noch effektiver an DNA-Spuren heran.«
»Wenn ich dadurch auch nur das kleinste Fitzelchen von ihm loswerde, dann mach ich’s.«
Als die Zahnseide etikettiert und in einem weiteren Behälter verschlossen war, machte Anya sich daran, die Verletzungen schriftlich festzuhalten. Das Gesicht schwoll weiter an,
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