In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
eben mehr Antworten.
»Reden wir mal über das Täterprofil«, fügte er noch hinzu und setzte sich.
Quentin teilte mehrere maschinengeschriebene Blätter aus.
»Wenn wir von den Aussagen und vor allem seinem Spruch über Schmerz und Liebe ausgehen, dann haben wir es mit dem klassischen Machtbestätigungsvergewaltiger zu tun. Er begeht Sexualverbrechen, um Macht über seine Opfer auszuüben und sich dadurch seiner Männlichkeit zu versichern. Häufig ist er gesellschaftlich wenig erfolgreich, und es mangelt ihm an sexuellem Selbstvertrauen, insbesondere gegenüber Frauen. Im Allgemeinen setzt er nur minimale Gewalt ein, um seine Opfer zu überwältigen, wenngleich dieser hier zuschlägt, sobald er glaubt, gesehen worden zu sein. Hat er ein Messer dabei, so hat er nicht vor, es zu benutzen. Es geht ihm um die damit verbundene Macht und Wirkung. Außerdem setzt er auf Überraschung als Waffe.«
»Weswegen er sich auf Bahnhöfen und Parkplätzen rumtreibt«, ergänzte Meira.
»Da muss ich widersprechen. Ich bin überzeugt, dass dieser Mann seine Opfer sorgfältig auswählt. Oft spioniert dieser Typ von Vergewaltiger die Frauen im Vorfeld aus. Er kennt ihren Tagesablauf und schlägt zu, sobald die Gelegenheit günstig ist.«
»Sieht man von den Vergewaltigern Gloria Havelocks als mögliche Täter ab, so können es nach wie vor spontane Attacken gewesen sein«, argumentierte Meira. »Das auf dem Parkplatz und die kleine Havelock, die vom Bahnhof heimgeht. Auch die Frau, die den Abfall rausbringt; vielleicht hat sie einfach den falschen Zeitpunkt erwischt.«
»Nicht unbedingt. Sie müssen bedenken, dass dieser Mann die Gewohnheiten seiner Opfer im Vorhinein kannte.«
»Was ist mit diesem Spruch, den er draufhat?« Hayden schien noch interessierter als die anderen.
»Das ist nicht wirklich originell«, erwiderte Quentin. »Wir nennen das pseudo-selbstloses Verhalten. Er zeigt eine Art von Mitgefühl und bildet sich deshalb ein, er wäre gar kein so schlechter Kerl. Er redet sich ein, dass er diesen Frauen tatsächlich einen Gefallen tut. Früher hätte man so jemanden den ›Gentleman-Vergewaltiger‹ genannt.«
»Ich glaube aber kaum, dass das so im Knigge steht«, witzelte Abbott.
»Gentleman ist er in dem Sinne, dass er nicht viel Energie darauf verwendet, seine Opfer zu erniedrigen und zu demütigen.«
»Soweit eine Vergewaltigung mit vorgehaltenem Messer dazu nicht ausreicht«, entgegnete Meira.
Diesmal reagierte Quentin nicht. »Außerdem bildet er sich ein, dass die Frau bereitwillig mitmacht und sich bemüht, seine Fantasien auszuagieren, vor allem, solange sie sich nicht wehrt. Wie bei der kleinen Havelock, wo er sich eine ganze Menge Zeit genommen und sogar eine Essenspause eingelegt hat, bevor er sie noch einmal vergewaltigte. Er spielt die Rolle des Partners.«
Hayden zeichnete eine Zeitachse auf die Konferenztafel. »Wie viel Zeit bleibt uns, bevor er das nächste Mal zuschlägt?«
»Nicht viel. Bei diesem Kerl dreht sich alles um Ego und Selbstachtung. Er muss immer weiter vergewaltigen, weil sein Ego es nicht verkraftet, keinen Schub zu bekommen. Ich schlage vor, Sie stellen seine Opfer für einige Wochen nach der Tat unter Personenschutz, es könnte nämlich gut sein, dass er in irgendeiner Weise in Kontakt mit ihnen treten möchte. Sei es, dass er in einem Laden mit ihnen zusammenrempelt, sei es, dass er sie anruft oder sie beobachtet. Er wird erst aufhören, wenn er in Haft ist.«
»Und das wäre also die gute Nachricht?«
»Sozusagen. Die schlechte Nachricht ist, dass sich Frustration einstellen könnte, sobald die Vergewaltigung nicht mehr seiner Fantasie entspricht. In diesem Fall würde die Gewalt bei den Übergriffen eskalieren, insbesondere, sobald Widerstand geleistet wird. Es kann leicht sein, dass er eines seiner zukünftigen Opfer ermordet.«
Es wurde still im Raum. Ein Klopfen an der Tür brach das Schweigen. Eine schlicht gekleidete Frau brachte einen Stapel Kopien.
Hayden dankte ihr und verteilte die Fragebögen, die jedes der Opfer beantworten sollte. Die Polizisten stöhnten.
»Wissen Sie, wie lange das dauern wird? Kann das nicht ein Psychologe erledigen?«, beschwerte sich Abbott. »In der Zeit könnten wir den heißen Spuren nachgehen, den Kerl beobachten, den die Streife angehalten hat, zum Beispiel.«
Hayden war anderer Ansicht. »Wenn sich rausstellt, dass er nicht unser Mann ist, dann wäre das eine enorme Zeitverschwendung. Je mehr wir über die Opfer wissen,
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